// 2009

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Bruder Albrecht

Wolfgang Ullrich
Raffinierte Kunst
Übung vor Reproduktionen
Wagenbach 2009

Dass die Reproduktion insgesamt ein Kennzeichen des Verfalls sei, die Filmkopie, die Zeitung im Rotationsdruck, das Buch für den Massenmarkt schließlich ebenso, das ist gängiges Ressentiment bis heute. Da kommt der Aufsatz Benjamins vom ‚Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit‘ lediglich noch als Titel, viel weniger als Lektüre in Frage. Als nahezu „abschließend“, meint Wolfgang Ullrich, hat hier Benjamins Schlagwort gewirkt.
Meister des Marketings mit Reproduktionen sind aber nicht die Brüder Karl und Theo Albrecht, sondern ein Künstler eben der Zeit, in der künstlerische Individualität allererst erfunden wird, Albrecht Dürer. Die Faksimileausgabe seines Marienlebens, das er in nicht wenigen Ausgaben hervorragend zu vermarkten wusste, wird nun von Prestel in einer Schmuckkassette mit einem Begleitbuch wieder zugänglich gemacht.

// Bücher

Der Zoo der Direktoren


Claudia Sewig
Bernhard Grzimek
Lübbe 2009

Unter den naturwissenschaftlichen Sachbüchern gelten die die von Tieren handeln immer als die etwas streichelweichen Leichtgewichte des Genres. Ein Meister dieses Fachs war sicher Bernhard Grzimek, dem Claudia Sewig eine gut geschriebene Biografie unter dem plüschigen Untertitel Der Mann, der die Tiere liebte gewidmet hat. Auf dem Cover schaut uns Opa Bernhard an als könnte er kein Wässerchen trüben; mancher wird darin eher Loriot in seiner Parodie Grzimeks erkennen. Im Buch selbst aber erfährt man viel über dieses Alphamännchen vor dem Gehege. Sewig, die die politischen Kontinuitäten aus dem Nationalsozialismus gut recherchiert hat, lässt es an Bemühungen um die schriftstellerischen Vorläufer leider fehlen. Konrad Lorenz, Heinz Sielmann und Horst Stern werden zwar, da sie irgendwann mal mit Grzimek zu tun hatten, erwähnt, als tierschriftstellernde Kollegen und Konkurrenten Grzimeks erfährt man allerdings nicht viel über sie. Dass es da interessante und weit zurück reichende Verbindungen gibt, kann man in der „Kleinen Geschichte des Sachbuchs“ jetzt im Kapitel über die Tierfotografen Carl Georg Schillings nachlesen, dessen Werk Mit Blitzlicht und Büchse sensationelle Aufnahmen enthielt. Die Wertschöpfung mag aber auch unter Direktoren ergiebiger sein, lässt man seine Vorläufer ungenannt.

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Die Andere Bibliothek oder die Schönheit des Sachbuchs

Die im Eichborn Verlag erscheinende Andere Bibliothek, von Hans Magnus Enzensberger begründet, von Klaus Harpprecht und Michael Naumann fortgeführt, ist vielleicht die am wenigsten richtig platzierte Reihe des deutschen Buchhandels. Die Bücher sind einfach zu schön, als dass man sie ernsthaft oder auch nur einen Augenblick für das halten würde, was sie eigentlich sind: Sachbücher!

Nicht nur ab und an oder auch nicht nur häufiger, sondern, besser noch, in überwiegender Mehrzahl sind die Bücher der Anderen Bibliothek nichts anderes als Sachbücher. Mögen sie in Buchhandlungen wo auch immer geführt werden, im Bereich Sachbuch nie.

Der im wahrsten Sinne faktografische Roman von Florian Felix Weyh, der unter dem Titel Die letzte Wahl 2007 erschien, ist ein herrlicher Zweifelsfall für das belletristische Profil der Anderen Bibliothek. Weyh erfindet ein therapeutisches Gespräch und darin erfährt der Leser alles über politische Wahlen und die an ihnen leidenden Politiker und Bürger. Das Buch hat, wie es für ein Sachbuch sich gehören mag, ein beachtliches Literaturverzeichnis, richtige Zitatnachweise und ein zünftiges Register. Und doch zieht Weyh alle Register der literarischen Technik. Klar, dass das vor der deutschen Literaturkritik absolut geräuschlos vorüberzieht. Nicht viel mehr war über das umgekehrt vorgehende Buch von Rohan Kriwaczek zu lesen. Hier ist gleich das ganze Sachbuch eine Fiktion. Aber ist es das nicht sowieso immer? Kriwaczeks Groteske erschien unter dem Titel Eine unvollständige Geschichte der Begräbnisvioline Wenn man an das deutsche Sachbuch denkt, weiß man, dass das vermutlich wirklich nur aus England kommen kann. Hier wurde es schon besprochen.

Also versuchen es die Herausgeber mit Gewalt: Es erscheinen von Churchill die bereits besprochene schrecklich-wunderbare Reportage über der Krieg der Briten im Sudan und von Cecil Lewis das Erinnerungsbuch „Schütze im Steigflug“.

Dann endlich erscheinen in der Anderen Bibliothek zwei deutsche Autoren, Klaus-Jürgen Liedtke mit „Die versunkene Welt“ und Eckart Kleßmann mit seinen „Universitätsmamsellen“. Zuletzt kamen in einem fast damenhaften Gewand von August Strindberg die Reportage „Unter französischen Bauern“ und das bewunderswürdige Buch von Hugh Trevor-Roper „Der Eremit von Peking“ heraus.