// 2012

// Bücher

Ich fühl mich gerade so

Jan Plamper
Geschichte und Gefühl
Grundlagen der Emotionsgeschichte
Siedler 2012

Warum ergreifen den griechischen Helden die Gefühle als außer ihm liegende Mächte? Wie packte man sich im 18. Jahrhundert bei der Ehre, vor allem aber wo? Was ist das Ehrgefühl überhaupt? Oder kann man auch als Migrant „German Angst“ entwickeln?

Die Gefühle haben eine Geschichte. Schon allein darin ist Plampers überaus umfangreiche Gesamtdarstellung all dessen was man über Gefühle wusste und weiß, überall aufschlussreich.

Es gibt kein Gefühl an sich, das man im einen Augenblick formulieren und dann wie einen 3-D-Ausdruck zur Hand nehmen und wie zum Beweis vorzeigen kann. Die Verdinglichung des einen Gefühls, das man da und da hatte, wurde in den letzten Jahren von der Topologie der Gefühle im Gehirn, dem sich die Neurowissenschaften widmen, abgelöst.

Plamper zeigt, dass das bildgebende Verfahren der Gefühlslokalisierung immer dann ziemlich sicher in die Irre führt, wenn sich Kulturwissenschaften darauf beziehen. Sie gehen dann ein wenig wie derjenige vor, der aus aus dem Wärmebild eines Hauses Rückschlüsse auf die Familienverhältnisse unternimmt.

// Bücher

Hollyreuth

Das Wagner-Jahr 2013 scheint sich weniger in Konzerthäusern als auf Büchertischen abzuspielen. Das kann dann aber auch bedeuten, dass es eine geben kann, die in Darstellung und Inhalt die klassische populäre Darstellung Wagners von Martin Gregor-Dellin von 1980 ersetzt.

Diese neue große Biografie Wagners stammt zweifellos von Martin Geck. Sie ist hervorragend geschrieben und handelt glücklicherweise von dem, was bei Wagner wichtig ist: Musik. Gleichwohl stand am Anfang das Drama, die Inszenierung und dann erst kam bei Wagner die Musik. Geck geizt nicht mit Musikbeispielen, die zeigen wie es gemacht ist. Der ganze geistesgeschichtliche Firnis, der die unübersehbare Wagneriana überzogen hat, ist damit erst einmal ausgewischt.

Der Firnis besteht manchmal auch nur aus einer Schicht Altfett. Bei Christian Thielemann erfährt man: „Die Wagners aßen gerne Wurstsalat.“ Das Buch geht aus Aufnahmen hervor. Irgendwer hat vergessen zu schneiden.

Dann doch lieber gleich Ludwigs Marcuses Wagner-Buch, das bereits 1963 erschien und die ganze Wagnerei durch die süß-saure Soße, die Marcuse drübergoss, erst halbwegs genießbar werden lässt. Immer noch lesbar, weil auf jeder Seite mit szenischer Genauigkeit. Das Inszenieren ist von jeher die Lieblingsbeschäftigung der Wagners. Wagner im niederländischen Malerkostüm: Kniehose mit seidenen Strümpfen, ein Rock aus Samt. Hollyreuth.

Neuere Biographien haben ja kein Problem mit dem Material. Es reicht längst. Jetzt geht es eher darum, die richtigen Schnitte zu setzen. Martin Geck, das zeigt sich auf jeder Seite, handhabt das Messer beherzt. Zwei Doppelbiografien – dies hier eingeschoben – sind außerdem erschienen, von Kerstin Decker über Nietzsche und Wagner, von Eberhard Straub über Wagner und Verdi.

Das Problem des Materials besteht darin, die Ausstrahlung des Künstlers zu begrenzen, die sich auf alles ausdehnt, seine trivialen Gewohnheiten und vollkommen belanglose Gegenstände. Im Umfeld des Künstlers, allemal dem, der tausendfach dargestellt wurde, erfährt nun jedes und alles etwas vom Abglanz der großen Persönlichkeit. Irgendwann wimmelt es nur noch von bedeutsamen Begebenheiten und wichtigen Gegenständen. Über den Dirigenten Thielemann erfährt man: „Ich mag keinen Wurstsalat.“

Kerstin Decker
Nietzsche und Wagner
Geschichte einer Hassliebe
Propyläen 2012

Martin Geck
Wagner. Biographie
Siedler 2012

Eberhard Straub
Wagner und Verdi
Klett-Cotta 2012

Ludwig Marcuse
Richard Wagner
Ein denkwürdiges Leben
Diogenes 2013 (zuerst 1963)

Christian Thielemann
Mein Leben mit Wagner
C. H. Beck 2012

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1812 ff.

Adam Zamoyski
1812
Napoleons Feldzug in Russland
C. H. Beck 2012

Das beste Buch über den Russlandfeldzug Napoleons schrieb natürlich Tolstoi mit Krieg und Frieden. Gar nicht so knapp dahinter ist Zamoyskis voluminöse Darstellung der Ereignisse. Manchmal geht einem beim Lesen solcher dicken Bücher durch den Kopf, dass man es vielleicht nicht so überaus genau wissen wolle. Doch hier, bei diesem Buch, da will man es ganz genau wissen. Und Adam Zamoyski verschafft Überblick, fasst zusammen und erklärt die Motive der einzelnen Protagonisten. Und er ist ein großartiger Erzähler aus den Quellen.

Tolstoi schaltet im neunten Teil des Romans eine historische Reflexion ein und schreibt: „Millionen Menschen mußten also, aller ihrer Menschengefühle und all ihres Menschenverstandes bar, von Westen nach Osten ziehen und ihresgleichen totschlagen“. Das ist so erstaunlich, so rätselhaft und im Grunde unerklärlich, dass die Erzählung davon, wie es dazu kam, wie es verlief und endete, nur im Geflecht eines umfangreichen Buches möglich ist, das Überblick über die großen Verläufe gibt und Einblick in die einzelnen Schicksale.