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Verschwiegenes Erbe und vererbtes Schweigen

Julia Friedrichs
Wir Erben. Was Geld mit Menschen macht
Berlin 2015

Geld beruhigt und Geld entspannt. Und weil nichts muss und alles kann, weil Geld gerne zu Geld kommt, macht Geld eben auch noch erfolgreich. Man muss also zwischen der Generation die erwirtschaftet und derjenigen, die bloß erbt, nicht unbedingt so einen großen Unterschied sehen, wie das Julia Friedrichs nahelegt.

Zweifellos aber gibt es einen Unterschied zwischen denjenigen, die viel und mehrfach und denjenigen, die gar nichts erben. Das ist ein großer Unterschied, der enorme Folgen hat und Fragen aufwirft, die Friedrichs in einzelnen Interviews mit Betroffenen zu beantworten sucht. Sie teilt mit, dass in den nächsten Jahren bis zu drei Billionen Euro vererbt werden.

Das Buch, wie in der Kritik gelegentlich geschehen, als Plädoyer für eine erhöhte Erbschaftssteuer zu verstehen, greift ganz gewiss zu kurz. Das Buch erzählt den Erkundungsprozess der Autorin eben mit genau dem Alltag, der so zwischen Anfahrt und Gespräch zu geschehen scheint. Auch da hat man Mängel bemerkt.

Vielleicht lag es auch ein wenig daran, dass hier eher die Beerbten rezensierten, Julia Friedrichs aber gewiss für die jungen Erben schreibt, die sich so ins Thema gebracht wissen wollen. Gut möglich aber, dass man sich auch in dieser Generation der jungen Erben gewünscht hätte, dass Julia Friedrichs das Thema von der Erkundung konsequenter in Erkenntnis überführt hätte.

Bestätigt hat sich allerdings auch eine andere These von Julia Friedrichs, dass über nichts so ausgiebig geschwiegen wird wie über das Erben. Nach solchen Rezensionen, die zum Thema selbst kaum etwas beitrugen, kann es nun ja auch wieder weitergehen, das Schweigen über das Erben.

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In Grauwacke gemeißelt

Henning Ritter
Notizhefte
Berlin Verlag 2010

„Das meiste wird notiert, weil es vielleicht noch zu etwas dienen kann. Das ist die Verfahrensweise des Bastlers, der scheinbar sinnlos Dinge anhäuft und dabei nicht nach einem Plan verfährt, vielmehr es den Dingen ansieht, daß sie für künftige Vorhaben taugen werden.“ Dieses Vorhaben, zu dem die hier versammelten Texte taugten, ist dieses Buch selbst.

Wenn ein Preis für dieses Buch zu vergeben wäre, müssten ihn die Buchgestalter entgegen nehmen. Titelung, Bindung und Gestaltung sind von einer manipulativen Kraft, der man sich kaum zu entziehen weiß. Erst wenn man zu lesen, zu blättern beginnt, wird einem bewußt, wie hoch, vielleicht auch hochtrabend, der Anspruch dieser Texte ist. Denn natürlich sind es die Freunde, die Henning Ritter zur Veröffentlichung rieten. Natürlich! Was wäre der, der hier abrät?

Ohne Dummheiten

Werden aber die Ansprüche, die buchstäblich mit Händen zu greifen sind, eingelöst? Nein! Wer wie Ritter die Zeitgeschichte derart ausklammert, den höheren Tratsch aus seinen Notizen verbannt, die Entblößung der Kollegen unterdrückt, der Entlarvung seiner selbst nicht fähig scheint, der lässt die Probe nicht zu, die jedem Klassiker obliegt, durch die Gegenwart in die Zukunft, durch die Einzelbeobachtung zum Prinzipiellen durchzustoßen. Ritter umgeht das und steuert sein Ziel direkt an.

„Man weiß nicht, ob diese Dummheit nicht der Vorläufer einer kostbaren Einsicht ist, ob nicht dieses Zitat einen eigenen Gedanken anregt.“ Das Buch enthält aber keine Dummheiten.

Indem er diese fast alle ausstreicht und, wie er im knappen Vorwort sagt, nur „ein Zehntel der Aufzeichnungen“ veröffentlicht, fragt man sich, was sich dort noch fand? Eine ungehörige Frage. Herausgestellt wird hier das konservative Denken. Ritter liest Cioran, Nietzsche, Spengler, Gasset, Montaigne, Schopenhauer, Le Bon, Schmitt, Burke, Gehlen, Bataille, de Maistre und Ernst Jünger, Thomas Mann und Gottried Benn, und natürlich auch viel anderes. Ein Tag in Ritters Bibliothek, ein toller Tag.

Texte im feinen Zwirn

Auf der Rückseite des Umschlags wird die Schreibmotivation Ritters zur Lesemotivation verlängert: „Ich studiere Autoren nicht, ich versuche vielmehr, sie zu erraten. Mich interessiert nicht die Seite, die sie mir zuwenden, sondern die, die sie vor mir verbergen.“ Eine Haltung, die unterstellt, dass die uns zugewandte Seite der Autoren ohnehin verständlich sei und darin zugleich das Versprechen verpackt, dass hier lauter extraordinäre Seite der Autoren zu entdecken seien.

Das Buch ist in feinstes herrengraues Leinen eingebunden, mit nicht einem, sondern gleich zwei verschiedenfarbigen Lesebändchen und in einen Schutzumschlag gebracht, der Autor und Titel wie in Stein gemeißelt erscheinen lässt. Dazu noch eine vorgeblich schlichte, in Wahheit aber prahlerische Buchbinde, die das Buch kurz als „Klassiker der Gegenwart“ (Zeit) charakterisiert und auf der Rückseite von einem „riesigen, bislang ungehobenen Schatz“ (Faz) spricht. Kleiner geht es, bei soviel Zierrat der Vornehmheit, wohl nicht.

Ritters Werkextrakt

Der Titel zeigt den ganzen nonchalanten Widerspruch in einem Wort, das Buch heißt „Notizhefte“. Beides stimmt zweifellos nicht, weder handelt es sich, bei dem was vorliegt, um beiläufige Notizen, noch um irgendwelche Hefte.

Gedruckt auf Papier, das fast Dünndruckpapier ist, hält man so ein schmales und überraschend schweres Buch in Händen, das auf reichlich über vierhundert Seiten kommt. Nicht wenig trickreich wird so eine große Werkausgabe simuliert, aus der wir hier die handliche und das Wesentliche enthaltende Leseausgabe bekommen.

Eine etwas zu selbstbewußte Gestaltung, die ziemlich umstandslos den Klassiker nahelegt. Texte, wie in Grauwacke gemeißelt. Und so kommt es, dass man diese großartigen und anregenden Texte gegen die raffinierte Überwältigungsrhetorik des Buches als Handschmeichler fast verteidigen muss.

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Preis der Leipziger Buchmesse 2011

In der Kategorie bestes Sachbuch/Essayistik
erhielt den Preis der Leipziger Buchmesse 2011:

Henning Ritter
Notizhefte
Berlin Verlag 2010

Zur Besprechung des Buches unter dem Titel
In Grauwacke gemeißelt hier.

Weiterhin nominiert waren in der Rubrik Sachbuch/Essayistik:

Patrick Bahners
Die Panikmacher.
Die deutsche Angst vor dem Islam.
Eine Streitschrift
C.H. Beck 2011

Zur Besprechung des Buches unter dem Titel Migration als Ware hier.


Andrea Böhm
Gott und die Krokodile.
Eine Reise durch den Kongo
Pantheon Verlag 2010

Karen Duve
Anständig essen.
Ein Selbstversuch
Galiani Verlag 2010

Marie Luise Knott
Verlernen.
Denkwege bei Hannah Arendt
Matthes Seitz 2010

Ein attraktiver kulturgeschichtlicher Essay, ebenso knapp wie klar. Gelassen und humorvoll wie die Arendt, nicht zuletzt durch die dem Buch mitgegebenen wunderbaren Bildsprachspiele von Nanne Meyer.

Zum Preis der Leipziger Buchmesse 2010.