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Da war was

Douwe Draaisma
Das Buch des Vergessens
Warum Träume so schnell verloren gehen und
Erinnerungen sich ständig verändern
Galiani 2012

Bei bestimmten Sachen, dem Dreisatz beispielsweise, weiß man noch ganz genau, wer ihn erklärt hat. Da ist das Wissen im autobiografischen Gedächtnis aufbewahrt. Die allermeisten Informationen aber werden, wenn überhaupt, im semantischen Gedächtnis abgespeichert. Wissen ist in der Regel keine Erinnerung.

Wenn man vermeiden möchte, dass die eigene Idee, die man im Kollegenkreis erläutert, ins bloß semantische Gedächtnis abwandert, also, wie man bei Draaisma lernt, der Kryptomnesie zum Opfer fällt, dann lasse man sich etwas einfallen, das die Idee in einen ungewöhnlichen Kontext stellt: auf den Tisch hauen, sich die Haare raufen, den Sitznachbarn kneifen.

Draaismas Bücher sind so randvoll wunderbarer Beobachtungen. Wie schon in Geist auf Abwegen von 2008 und die Heimwehfabrik von 2009 ist auch dieses Buch von einer nahezu klassischen Abgeklärtheit. Den Beobachtungen zum Phänomen des Vergessens stellt er Erläuterungen an die Seite, wie man zur Probe etwas ans Licht hält, aber erst einmal beiseite legt, um es vielleicht später noch einmal zur Hand zu nehmen.

Selten will Draaisma etwas beweisen. Aus den historisch gewordenen Erklärungen der Psychologiegeschichte, für die er an der Universität Groningen einen Lehrstuhl hat, weiß er mit großer Gelassenheit zu berichten. Vielleicht weil er weiß, wieviel wir wieder vergessen?

Um Kryptomnesie zu vermeiden, kann man sich dieses Buch kaufen und an den Stellen, von denen man sicherstellen möchte, dass man sich erinnert, sie von Draaisma zu haben, ein Eselsohr machen.

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Aus der Psychiatrie

Birgit Bysiak, buchhändlerische Auszubildende, schreibt über eines der ersten populären Sachbücher, das sich mit dem Gehirn beschäftigte. Oliver Sacks Klassiker, der in Deutschland zuerst 1985 erschient, begründete nur scheinbar das Genre der verstehenden Patientenbeschreibung. In Douwe Draaismas Geist auf Abwegen (Eichborn 2008) kann man einiges über dieses aus dem 19. Jahundert stammende Genre nachlesen.

Oliver Sacks
Der Mann der seine Frau mit einem Hut verwechselte
Rowohlt Taschenbuch

Der 1933 in London geborene, seit langem in New York praktizierende Neurologe, Psychiater und Schriftsteller Oliver Sacks zählt zu den weltweit meistgelesenen Sachbuchautoren. International bekannt wurde er Mitte der achtziger Jahre durch sein Buch „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“, einer Sammlung von Fallstudien aus Sacks neurologischer Praxis. Es geht in den Texten dieses Bandes hauptsächlich um Ausfallserscheinungen, um Folgen von Nervenerkrankungen oder organischen Defekten, die das Verhalten der davon betroffenen Menschen erheblich, nicht selten in skurril anmutender Weise verändern.
Oliver Sacks schildert diese Menschen, ihre Erkrankungen und ihr Schicksal vor dem Hintergrund des Alltagslebens in einer besonders mitteilsamen, erzählerischen, betont nicht „wissenschaftlichen“, jedoch höchst präzisen Weise. Diese Erzählhaltung er brachte ihm das Prädikat, er schreibe seine Wissenschaftsreportagen oder –anekdoten in einem „romantischen Stil“, womit hier Schreibstile von Naturwissenschaftlern des 19. Jahrhunderts gemeint sind.
Der englische Komponist Michael Nyman komponierte nach der Titelerzählung des Buches eine auch in Deutschland erfolgreich aufgeführte Kammeroper, Sacks´ Buch „Zeit des Erwachens“ wurde in Hollywood verfilmt. Oliver Sacks zählt zu jenen herausragenden Sachbuchautoren, die für ihre Geschichten einen eigenen literarischen Stil erfanden.

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Beobachten und beschreiben

Douwe Draaisma
Geist auf Abwegen
Eichborn 2008

Draaisma schreibt hier nichts weniger als das Lexikon der Eponyma der Nervenkrankheiten. Ein Eponym ist ein Eigenname, der zu einem Gattungsnamen geworden ist. Alzheimer zum Beispiel. Der Vorname nicht nur, die ganze Biografie, manchmal die Tatsache, dass das „jemand“ gewesen sein könnte, ist dabei vollständig in Vergessenheit geraten. Was Draaisma aus diesen vergessenen Eponyma macht ist eine bewundernswert gut geschriebene Hagio-, nein Medicografie.

Mediziner haben dabei unseren Körper, seine Teile, seine Defekte, Syndrome und Reaktionen buchstäblich mit ihren Namen vollständig kolonisiert. Dabei konzentriert sich Draaisma auf die Eponyma der Nerven- und Hirnforschung, von ihm wiederentdeckt werden: z.B. Parkinson, Korsakow, Tourette und Asperger. Draaisma führt uns dabei in das Herz des Wissenschaftsbetriebs, in dem Ehre und Ansehen auf dem Spiel stehen. Der Schwerpunkt seiner Auswahl liegt im 19. Jahrhundert, da später vor allem beschreibende Bezeichnungen oder Abkürzungen – das Team hat mehr Bedeutung als die individuelle Verewigung – verwendet werden. Wer aber Eponyma vergibt, ist der Meister aller und das war unbestritten Jean-Martin Charcot, dessen Biografie sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Wir erfahren aber auch, worin die überragende Bedeutung dieser Ärzte lag: in der Kunst, genau zu beobachten und anschaulich zu beschreiben. So entstehen bei Draaisma Kurzbiografien, die sich der schriftstellerischen Kunst der darin beschriebenen Ärzte, jederzeit gewachsen zeigen.