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Dreierlei Grabreden

Stephanie Cooke
Atom
Die Geschichte des nuklearen Zeitalters
Kiepenheuer & Witsch 2010

Merle Hilbk
Tschernobyl Baby
Wie wir lernten, das Atom zu lieben
Eichborn 2011

Hubert Mania
Kettenreaktion
Die Geschichte der Atombombe
Rowohlt 2010

Stephanie Cooke schreibt eine elegante Gesamtdarstellung unseres nuklearen Zeitalters. Eine Geschichte wie aus einer megalomanen Urzeit.
Merle Hilbk berichtet in ihrer Reportage vom Ort dieses Futurismus vergangener Zeiten. Im April 2011 ist es fünfundzwanzig Jahre her, dass die ohnehin als kaum erquicklich empfundene russische Landschaft unbegehbar wurde.

Eine Landschaft, in die man sich diejenigen wünscht, die atomare Gefahr mit Verkehrsunfällen oder Opfern des Kohleabbaus vergleichen. Ein starkes Buch, wenn auch keines für Frühlingsgefühle.

Zur militärischen Vor- und Begleitgeschichte des Atoms nur noch der Hinweis auf das großartige Buch von Hubert Mania.

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Die Andere Bibliothek oder die Schönheit des Sachbuchs

Die im Eichborn Verlag erscheinende Andere Bibliothek, von Hans Magnus Enzensberger begründet, von Klaus Harpprecht und Michael Naumann fortgeführt, ist vielleicht die am wenigsten richtig platzierte Reihe des deutschen Buchhandels. Die Bücher sind einfach zu schön, als dass man sie ernsthaft oder auch nur einen Augenblick für das halten würde, was sie eigentlich sind: Sachbücher!

Nicht nur ab und an oder auch nicht nur häufiger, sondern, besser noch, in überwiegender Mehrzahl sind die Bücher der Anderen Bibliothek nichts anderes als Sachbücher. Mögen sie in Buchhandlungen wo auch immer geführt werden, im Bereich Sachbuch nie.

Der im wahrsten Sinne faktografische Roman von Florian Felix Weyh, der unter dem Titel Die letzte Wahl 2007 erschien, ist ein herrlicher Zweifelsfall für das belletristische Profil der Anderen Bibliothek. Weyh erfindet ein therapeutisches Gespräch und darin erfährt der Leser alles über politische Wahlen und die an ihnen leidenden Politiker und Bürger. Das Buch hat, wie es für ein Sachbuch sich gehören mag, ein beachtliches Literaturverzeichnis, richtige Zitatnachweise und ein zünftiges Register. Und doch zieht Weyh alle Register der literarischen Technik. Klar, dass das vor der deutschen Literaturkritik absolut geräuschlos vorüberzieht. Nicht viel mehr war über das umgekehrt vorgehende Buch von Rohan Kriwaczek zu lesen. Hier ist gleich das ganze Sachbuch eine Fiktion. Aber ist es das nicht sowieso immer? Kriwaczeks Groteske erschien unter dem Titel Eine unvollständige Geschichte der Begräbnisvioline Wenn man an das deutsche Sachbuch denkt, weiß man, dass das vermutlich wirklich nur aus England kommen kann. Hier wurde es schon besprochen.

Also versuchen es die Herausgeber mit Gewalt: Es erscheinen von Churchill die bereits besprochene schrecklich-wunderbare Reportage über der Krieg der Briten im Sudan und von Cecil Lewis das Erinnerungsbuch „Schütze im Steigflug“.

Dann endlich erscheinen in der Anderen Bibliothek zwei deutsche Autoren, Klaus-Jürgen Liedtke mit „Die versunkene Welt“ und Eckart Kleßmann mit seinen „Universitätsmamsellen“. Zuletzt kamen in einem fast damenhaften Gewand von August Strindberg die Reportage „Unter französischen Bauern“ und das bewunderswürdige Buch von Hugh Trevor-Roper „Der Eremit von Peking“ heraus.

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Ein fiktionales Sachbuch

Rohan Kriwaczek
Eine unvollständige Geschichte der Begräbnisvioline
Eichborn 2008

Die ältesten Zeugnisse der Kultur stammen in der Regel aus Grabstätten. So sind Bestattungsriten vielleicht die ältesten und ersten Zeugnisse des Übergangs des Menschen von der Natur zur Kultur. Kurz darauf fand sich auch der erste Experte gewerblicher Eingrabungsarbeiten ein, der Bestatter, dem dann nur wenige tausend Jahre später der Experte für die Umkehrung folgte, der Archäologe. Zur Beerdigung gehörte schon früh semiprofessionelles Musizieren am Sarg, im Altertum die Flöte, im Mittelalter der Gesang und bald nach ihrer Einführung im Barock die Violine.

In Rohan Kriwaczeks Buch Eine unvollständige Geschichte der Begräbnisvioline wird nun die Kulturgeschichte der Begräbnisviolinenmusik, der Begräbnisviolinenkompositionen und der Begräbnisviolinenmusiker erzählt. Ein Buch, das in ebenso ernsthafter wie komplett erfundener Weise ein vernachlässigtes Kapitel unserer Kulturgeschichte präsentiert. Da es für alles bereits Experten gibt – selbst für Ein- und Ausbuddeln – hat sich Kriwaczek sein Gebiet, auf dem er sich als unbestrittener Experte präsentieren kann, kurzerhand selbst erfunden. Damit haben wir hier das seltene Beispiel eines fiktionalen Sachbuchs. Um die Faktizität des Fiktionalen komplett zu machen, präsentiert der Autor dessen Anblick allein schon einen den Schreck in die Glieder fahren lässt, im Internet Hörproben, die den am Sarg Trauernden dem Toten bald nachfolgen lassen. Hier der Link zum Spuk.