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Philipp Felsch
Der lange Sommer der Theorie
Geschichte einer Revolte 1960 – 1990
C. H. Beck 2015

In den letzten Jahren erschienen mit Ulrich Raulffs Wiedersehen mit den Siebzigern. Die wilden Jahre des Lesens, Helmut Lethens Suche nach dem Handorakel. Ein Bericht und schließlich auch Hans Magnus Enzensbergers Tumult ein Schub an Memoirenliteratur. In all diesen Erinnerungswerken haben Lektüren eine überragende Bedeutung.

Mit Philipp Felschs Buch Der lange Sommer der Theorie, das auf Enzensbergers Roman über Buenaventura Durruti, Der kurze Sommer der Anarchie, anspielt, liegt nun auch ein Buch vor, das die Zeit von 1960 bis 1990 aus dem Inneren der Buchproduktion erzählt. Ist diese Anspielung auf Enzensberger Roman schon fragwürdig, gerät der intellektuelle und politische Historie versprechende Untertitel entschieden zu breit. Denn zumindest durch den Untertitel hätte gesagt werden müssen, um was es sich bei diesem Buch eigentlich handelt: die wunderbare Erzählung des Merve-Verlags aus den Archiven der Theorie.

Der Merve-Verlag, als Kollektiv gegründet, dessen erste offizielle Publikation 1970 erschien, erhielt seinen Namen durch die Ehefrau Peter Gentes, Merve Lowien. Durch Heidi Paris, die Peter Gente 1974 kennenlernte, zerfallen Kollektiv und Ehe. Dieses Buch ist also nichts weniger als die Geschichte des Merve-Verlags, der sich, das nur nebenbei, auch als Gegenstück zur Suhrkampkultur begriff, deren farbliche Reminiszenz auf dem Umschlag also unglücklich ist.

„Dieses Buch“, schreibt Philipp Felsch in der Einleitung, „erzählt von Peter Gentes Bildungserlebnissen, von den Irrfahrten des Merve-Kollektivs und von den Entdeckungen des Verlegerpaares. Es folgt der Spur ihrer Lektüren, ihrer Dedatten und Lieblingsbücher – aber es dringt nicht ins Innere der Bleiwüsten ein.“

Am legendären Verlegerpaar Heidi Paris und Peter Gente wird deutlich, wie sehr das Büchermachen aus Bücherlesen hervorgehen kann. Das wird auch durch die von Felsch als Mitbringseln aus dem Archiv an den Anfang der Kapitel gestellten Faksimiles deutlich. Angerissen und mit handschriftlichen Notizen von Gente versehen, zeigen sie die Bücher des Verlegers, eigene und fremde, als interaktives Medium, das zur Modifizierung und Kommentierung einlädt, und aus dem neue, weitere Bücher hervorgehen.