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Das Wasserrad

J. David Simons
Ein feines Gespür für Schönheit
Europa Verlag 2017

J. David Simons erzählt in diesem Roman die Wiederkehr des betagten schottischen Schriftstellers Edward Strathairn nach Hakone in Japan im Jahr 2003. Abgelöst werden diese Texte von der Geschichte seines Aufbruchs nach Japan im London des Jahres 1952. So greifen die Kapitel ineinander, spiegeln und erläutern sich gegenseitig.

Strathairn kehrt an den Ort zurück, an dem sein Roman Das Wasserrad entstand, in dem er den Abwurf der amerikanischen Atombombe über Nagasaki thematisiert. Dort lernt er Sumiko kennen. Sie trifft er wieder. Wie auch Macy, die amerikanische Künstlerin, die er in London heiratete.

Da, am gegenüberliegenden Ufer, an einer kleinen Holzhütte angebracht, war das Wasserrad. Mit seinen ruhigen Drehbewegungen hieß es ihn willkommen wie einen alten Bekannten, tauchte völlig mühelos ins Wasser ein, so als wollte es sich vor ihm verbeugen. Das frische Holz bewies, dass es sich um eine Reinkarnation handelte; die Form hatte ihre Essenz beibehalten, die Konstruktion hingegen war erneuert worden.

Das Dingsymbol des Wasserrads ist nicht allein in seiner Bewegung dem Roman strukturell vergleichbar, auch die zwei erzählerischen Ebenen sind wechselweise Reinkarnationen. Der zu einem Ort des Glücks wiederkehrende Strathairn ist nur durch den jungen Mann in Hakone verstehbar.

Simons hat einen Roman über die Essenz geschrieben, über das was bleibt, denn gegenüber Sumiko und Macy wiederholt Strathairn seine Fehler. Und so sind die Kapitel dieses Romans wie das Ordnungssystem japanischer Hausnummern. Ein Sachverhalt, den man übrigens bei älterer Bebauuung auch in Deutschland (Wermelskirchen) findet. Diesen Roman, dieses Leben, unser Leben dominiert die Zeit.

Die Häuser in einem Wohngebiet wurden nach dem Zeitpunkt ihrer Errichtung nummeriert, nicht nach ihrem Standort in der Straße. Dann musste man bei der Suche mehr auf zeitliche als auf räumliche Faktoren setzen.

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Finde ich das Glück beziehungsweise?

Es ist Samstag Abend, Köln Hauptbahnhof, zwar ist nicht Karneval, aber trotzdem sieht man mehrere Gruppen verkleideter Menschen durch den Bahnhof streunen. Meistens alle im gleichen T-Shirt. Oft mit einem Foto bedruckt und einen schwachsinnigen Spruch wie „Guidos letzter Tag in Freiheit“. Was Guido droht ist nicht Haft, sondern die Ehe. Es ist ein Junggesellenabschied. Vielleicht begann auch diese Beziehungsgeschichte von Guido bei neu.de oder Facebook. Nun, Guido ist entschieden und löst das Dilemma des Sokrates – „Heirate oder heirate nicht, du wirst beides bereuen“ – durch eine Entscheidung.

Findet mich das Glück? Und passen wir überhaupt zusammen?

Für Frauen bleibt mit der Heirat allerdings die Frage der Fragen für die Suche nach dem perfekten Leben ungelöst: Wann werde ich schwanger? Dann aber noch: Werde ich überhaupt Kinder bekommen können? Gegenüber einem männlichen Dilemma sind die Möglichkeiten der Selbstfrustration unter Frauen doch erheblich vielgestaltiger. Und sie werden, wenn man Florentine Fritzen glauben darf, fast alle genutzt.

Ein Mann lebt seit drei Jahren mit einer Frau zusammen. Sie haben sich tatsächlich über eine Internetseite kennen gelernt. Irgendwann fällt der Frau ein, dass noch ihr Profil im Internet steht, mit dem sie sich auf Partnersuche begeben hat. Mit Fotos. Reisebilder aus Vietnam. Jetzt hat sie das Gefühl, dass zwischen den Bildern und ihr ein ungeheurer Abstand herrscht. Sie sucht nach seinem Profil und findet es mit einem kleinen blinkenden Sendemast! Als er nach Hause kommt, sagt sie: „Du hast weiter gesucht.“ Er leugnet nicht, behauptet aber, sich nie mit jemanden verabredet zu haben. Die Nachrichten, die er erhielt, habe er nie beantwortet. „Du warst die ganze Zeit über an einem anderen Ort“, sagt sie, „in einer anderen Zeit. Ich bin ein Versuch für dich gewesen, nicht einmal das, ein Provisorium. Du hast dich in meiner Liebe, in unserem Leben aufgehalten wie in einem Wartezimmer.“

Ist es tatsächlich so, wie Mark Zuckerberg, der Gründer von facebook, irgendwo behauptet, dass sich die sozialen Gewohnheiten dem anpassen, was technologisch möglich ist? Werden uns Castingshows, twitter, StudiVZ und facebook so verändern, dass jegliches Schamgefühl verloren geht. So warnt jedenfalls Simons uns, aber besteht diese Gefahr wirklich? Oder drückt sich darin nur Gefühlskultur der Mittelschicht aus, mit ihrer eindringlicher Selbstprüfung und Reflexivität. Soziale Stellung und Seelenhaushalt entsprechen einander und Gefühle werden zu sozialen Ressourcen konvertiert. Zum Beispiel zu der, anders zu sein, ein Buch, wie das von Simons geschrieben zu haben. „Das Gesindel lebt sich aus und wir entbehren“, schreibt Sigmund Freud in einem Brautbrief.

Mit John Stuart Mill kann man diese Beispiele so kommentieren: „Lieber ein unglücklicher Sokrates als ein glückliches Schwein“. Bei Guido – Sie erinnern sich, der vom Bahnhof – wird aus der Episode eine Erzählung, bei der der Junggesellenabschied von untergeordneter Bedeutung sein wird. Das geschmacklose T-Shirt endet vermutlich als Polierlappen der Chromteile seines Motorrads. Bei dem zweiten Beispiel von Hillenkamp gelingt die gemeinsame Geschichte nur scheinbar, denn er sucht die alte Intensität für seine Affekte und Begierden zu erhalten. Zu Recht vielleicht, denn schließlich leben wir ja in Zeiten, in denen die Selbsterhaltung relativ gesichert ist. Hampe schreibt: „Menschen möchten in einzelnen Lebenssituationen möglichst intensive positive Gefühle empfinden, aber sie wollen auch, dass ihr Leben einen Zusammenhang ergibt, den man wie eine gut erzählte Geschichte nachvollziehen kann, und es nicht einfach in einzelne Episoden zerfällt.“ Dieses Verhalten ist nicht ganz so neu.

Im ersten Akt von Don Giovanni prahlt Leporello, sein Herr habe allein in Spanien über 1000 Frauen verführt und sagt, damit es glaubwürdiger wirkt die genaue Zahl: 1003. Das ist ein nur mittelmäßiger Durchschnitt meinen die Ornithologen. Verteilt man Don Giovannis Aktivität auf dreissig Jahre, verführte er nur alle elf Tage eine Frau. Da sind die Trauerschnäpper mit ihrer Praxis der APK, der „Außer-Paar-Kopulation“ effektiver. Die Männchen verlassen kurzfristig die Beziehung und machen durchschnittlich alle 25 Minuten den Versuch einer APK, aber alle elf Minuten schleicht sich ein anderes Männchen mit der gleichen Absicht in ihr Revier. So ist fast jeder vierte Trauerschnäpper illegitim.

Die Episodenhaftigkeit der Beziehungen, die Jared Diamond bei den Trauerschnäppern darstellt, die Hillenkamp konstatiert und Simons beklagt, hat ja unter Umständen auch etwas für sich. Michael Hampe schreibt: „Die Fähigkeit zu beobachten, die ganze Aufmerksamkeit auf das, was gerade geschieht, richten zu können, ohne es als etwas zu nehmen, das für anderes als es selbst steht, diese Beobachtungsfähigkeit ist die Grundlage für eine Lebenseinstellung, die zu einem glücklichen Leben führt.“ Kann sein, dass diese Einsicht dann an Boden verliert, wenn man auf dem Beziehungsmarkt zunehmend erfolgloser wird. Die Zuschreibung der Verantwortung für seine Form und sein Aussehen, trägt man mit zunehmenden Alter immer schwerer. Kann sein, dass Guido froh ist, auf diese Weise vom Markt genommen zu werden. Der Merksatz für diejenigen, die nicht Guidos Schicksal haben, lautet: Ihr sollt nicht leben, sondern euer Leben einteilen und zwar, meint Sloterdijk als Überbietungsdenker, in Trainingseinheiten. Das Ich ist ein Projekt und der jeweilige Ichinhaber ist Abend für Abend sein Unternehmer. Die Fälle von Selbstkonkursverwaltung nehmen allerdings zu.

Jared Diamond
Warum macht Sex Spaß?
S. Fischer 2009

Florentine Fritzen
Plus minus 30
Artemis & Winkler 2009

Michael Hampe
Das vollkommene Leben
Hanser 2009

Sven Hillenkamp
Das Ende der Liebe
Klett Cotta 2009

Martin Simons
Vom Zauber des Privaten
Campus 2009

Peter Sloterdijk
Du mußt dein Leben ändern
Suhrkamp 2009