// Bücher

Jemand Eis?

Gregor Schöllgen
Der Eiskönig.
C.H. Beck 2008

Jonathan Carr
Der Wagner-Clan
Hoffmann und Campe 2008

Man stelle sich vor, jemand der alle Anlagen zum Sachbuchautor hat, orientiert sich an Vorbildern wie einer Betriebsleitung für eine Bohnenkaffeemaschine oder, was fast dasselbe ist, an einem von einem deutschen Professor verfassten Sachbuch? Aber, liebe Autoren, sind Kaffeemaschinenhersteller und deutsche Professoren nicht die Leute, vor denen euch eure Eltern immer gewarnt haben?
Um weiteren Schaden von jungen deutschen Schriftstellern abzuwenden, muss man sagen: Verfasser von Gebrauchsanweisungen und deutsche Professoren langweilen zu Tode, weil sie die Gattungsbezeichnung „Sachbuch“ einfach falsch, nämlich wörtlich verstehen und unter Verhinderung aller, auch nur der einfachsten literarischen Mittel, einen Text produzieren, von dem sie nachher behaupten, dass das ein Sachbuch sei.

Denn wenn ich ein Buch über die Geschichte des zweitwichtigsten Eisherstellers lesen soll, für den sich doch ernsthaft niemand interessiert, dann doch nicht ohne dass ich auch erfahre, was Eis ist. Bei Schöllgen nimmt man Eis über das Gehirn auf! Man lese, aber nur ganz kurz, Gregor Schöllgen, und dann dagegen Jonathan Carr, der leider kurz nach Erscheinen seines wunderbaren Buches verstarb. Beide Bücher über Familiäres. Aber wie anders! Und das liegt keineswegs daran, dass Carr irgendetwas Neues mitzuteilen hätte. Ganz und gar nicht. Aber Carr ruft in seinem Buch gleichsam ständig: „Jemand Eis?“ und serviert dann Süßes und Saures, Kaltes und Heißes und ganz viel erste Sahne. Es ist in der Tat so, dass wenn man deutsche Sachbuchautoren mit denen britischer Herkunft vergleicht, man sich vorkommt, als vergleiche man Wagner mit Speiseeis. Beides hat leider allzu oft gar nichts miteinander zu tun.

Der stochastische Faktor


Joachim Castan
Der rote Baron
Klett-Cotta 2007

Heimo Schwilk
Ernst Jünger. Ein Jahrhundertleben
Piper 2007

Diese beiden Biografien könnten im Grunde nicht unterschiedlicher sein. Die erste über Manfred von Richthofen, einem jungen Mann, der als Jagdflieger im Ersten Weltkrieg umkam und nur 26 Jahre alt wurde, die andere, über Ernst Jünger, der fast achtzig Jahre älter als Richthofen wurde. Und doch sind sich Richthofen und Jünger ähnlich.

Im Ersten Weltkrieg nannten die Militärs die Grenze zwischen einem bloß zufälligen und einem wahrscheinlichen Tod, den stochastischen Faktor. Er half zu berechnen, wann man in der Truppe mit Fahnenflucht zu rechnen hatte. Eine Anfechtung, die weder Richthofen noch Jünger kannten. Warum eigentlich nicht?

„Wir sterben alle, ohne erkannt zu sein“ sagt Balzac. Und so macht sich Joachim Castan daran, eine der ganz bedeutenden Fliegerasse des Ersten Weltkriegs zu erkennen. Dabei erzählt er fasziniert und begeistert von den Einsätzen, der technischen Entwicklung und dem Verlauf des Krieges. Vor allem erzählt er die Geschichte Manfred von Richthofens als Mediengeschichte, deren Ergebnis ja auch nicht zuletzt sein eigenes Buch ist. Castans gelegentlich eingestreute psychologische Erklärungen über das was die Jagd und der Krieg aus jungen Männern macht: Kampfmaschinen, die nicht desertieren, weil sie süchtig werden, wirken da etwas hineingeklebt.

Den Orden Pour le Mérite, übrigens – die Freunde der Militaria werden das wissen – von Friedrich dem Großen 1740 als exklusiver Verdienstorden eingeführt – erhielten beide, Richthofen wie Jünger. Ein Jahrhundertleben heißt das Buch von Heimo Schwillk im Untertitel, als bestände die wesentlichste Leistung Ernst Jüngers darin, über hundert Jahre alt geworden zu sein, vom Bundeskanzler besucht und in einer Illustrierten abgebildet zu werden. Aber vielleicht ist da doch was dran, insofern er als der Überlebende immer auch derjenige ist, der den Tod, und zwar den Tod der anderen überlebt. Bei Jünger wird das Leben immer gesteigert, manchmal als bloßes Überleben.

Oral history


Margarete Dörr
Der Krieg hat uns geprägt
Campus 2007

Bereist 1988 veröffentlichte Margarete Dörr drei Bände über die Frauenerfahrungen im Zweiten Weltkrieg. In ihrem neuen Werk stellt sie die hundertfältigen Aspekte des Lebens von Kindern im und nach dem Zweiten Weltkrieg dar. Dabei werden von ihr die gesammelten Erinnerungen im Originalton wiedergegeben und, dies vielleicht der wichtigste Unterschied zu Kempowski, vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse interpretiert und kommentiert. Wollten doch, wie die Dörr vor zwanzig Jahren, die Alpha-Mädchen der F-Klasse auch nur einmal den Frauen heute zuhören, statt beständig und ausschließlich als Frauen von heute zu reden.