Rainer Maria Rilke. Eine Leseabend mit Michael Schikowski

Lesung zum Rilke-Jahr 2025

Rilkes Gedichte sind vielen ein Leben lang geläufig. Sie wirken bis heute. Die Intensität seiner Prosa strebte die vollkommene Erfassung des Gegenstands an. Der Weg dorthin führte Rilke über das handwerkliche Können, das jede Äußerung, gerade auch die Briefe, einschloss.  Im Brief an einen jungen Dichter nennt er sein Programm: Wie ein erster Mensch zu sagen, was wir sehen und erleben und lieben.

Die Nähe zum Journalismus, zu dem er alle Gaben besaß, fürchtete er. In ihm hätte er ein Auskommen gehabt. (hier zur Lesung des offenen Briefs an Maximilian Harden). Rilke entschied sich für ein prekäres Dasein und wurde vielfach ein Protegé der Reichen. Als Besucher von Tolstoi wurde er diesem lästig, als Sekretär Rodins produktiv. Auch in Worpswede hielt er sich auf, heiratete die Bildhauerin Clare Westhoff, und trennte sich bald darauf.

Neben einigen Gedichten werden vor allem die Prosawerke Rilkes wie die Geschichten vom lieben Gott, der Brief an einen jungen Dichter und die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge im Mittelpunkt dieses Abends stehen.

Mülheimer Literaturclub
Köln-Mülheim, Holsteinstr. 1
Sonntag, 5. Januar 2025
Beginn 18 Uhr

 

Aus: Briefe an einen jungen Dichter von Rainer Maria Rilke:

 

 

 

 

// Immer schön sachlich

// Kanon

Literaturverzeichnis Sachbuchgeschichte Gesundheit

Samuel Hahnemann: Organon der rationellen Heilkunde. 1810.

Ernst Schweninger: Der Arzt. Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien Bd. 7. Hrsg. von Martin Buber. 1906.

Ernst Ludwig Schleich: Das Schaltwerk der Gedanken. Neue Einsichten und Betrachtungen über die Seele. S. Fischer 1916.

Ernst Ludwig Schleich: Besonnte Vergangenheit. Rowohlt: Berlin 1921.

Eugen Herrigel: Zen in der Kunst des Bogenschiessens. O. W. Barth 1948.

Ferdinand Sauerbruch: Das war mein Leben. Kindler & Schiermeyer 1951.

Hans Schwerte und Wilhelm Spengler (Hrsg.): Forscher und Wissenschaftler im heutigen Europa. 2. Erforscher des Lebens. Mediziner, Biologen, Anthropologen. Oldenburg: Stalling 1955

Jürgen Thorwald: Das Jahrhundert der Chirurgen. Nach den Papieren meines Großvaters, des Chirurgen H. St. Hartmann. Knaur: München 1956.

Jürgen Thorwald: Das Weltreich der Chirurgen. Aus den Papieren meines Großvaters, des Chirurgen H. St. Hartmann. Knaur: München 1981.

Rudolf Nissen: Helle Blätter, dunkle Blätter. Erinnerungen eines Chirurgen. DVA 1969.

Julius Hackethal: Auf Messers Schneide. Kunst und Fehler der Chirurgen. Lübbe: Bergisch Gladbach 1976.

Jürgen Thorwald: Die Entlassung. Das Ende des Chirurgen Ferdinand Sauerbruch. München 1983.

Dietrich Grönemeyer: Dein Herz. Eine andere Organgeschichte. S. Fischer 2010.

Sekundärliteratur

Brigitte Boothe: Erzählen im medizinischen und psychotherapeutischen Diskurs. In: Christian Klein und Matías Martínez: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens. J. B. Metzler: Stuttgart 2009. S. 51-80.

Nicolas Pethes: Vom Einzelfall zur Menschheit. Die Fallgeschichte als Medium der Wissenspopularisierung in Recht, Medizin und Literatur. In: Popularisierung und Popularität. Hrsg. Gereon Blaseio, Hedwig Pompe und Jens Ruchatz. Dumont: Köln 2005. S. 63-92.

Sabine Schleiermacher und Udo Schargen (Hrsg.): Die Charité im Dritten Reich. Zur Dienstbarkeit medizinischer Wissenschaft im Nationalsozialismus. Paderborn 2008.

// Bücher

Des tiefen Eindrucks mangelnder Ausdruck: Empörung

Günter Wallraff
Aus der schönen neuen Welt
Expeditionen ins Landesinnere
Kiepenheuer & Witsch 2009

„Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,
Gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide.“
So Goethe im Tasso. Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab Gott ihm Wallraff. So noch im legendären Buch „Ganz unten“ von 1985. Wenn aber eine Methode eine Vorgehensweise ist, die sich ihrem Gegenstand anpasst, dann hat Wallraff sie für sein neues Buch genau verfehlt.

Denn erscheinen nicht längst die Berichte der schikanierten Kassiererinnen und Sekretärinnen von ihnen selbst verfasst? Manchmal werden sie mit Hilfe eines Journalisten geschrieben, wie bei den von Fernsehproduktionsfirmen ausgebeuteten Teilnehmern von Castingshows oder die Berichte über die mal kriminellen und mal politischen Karrieren der Migranten in Deutschland. „Wallraffa“, wie die Schweden sagen, wäre dorthin zu gehen, wo die Kreise sich dem Einblick verschließen oder nicht zu Sprache zu bringen vermögen, wie ihnen geschieht.

Diese Voraussetzung nicht allein fehlt bei Wallraffs neuem Buch, wie schon an vielen anderen Stellen festgestellt wurde, schlimmer ist, dass Wallraff sprachlich nicht in der Lage scheint, in seinen Reportagen irgendetwas anderes auszudrücken als Empörung. Ihm fehlen im Grunde alle sprachlichen Mittel der Darstellung und Analyse. Vielleicht erschienen Wallraff aber Stilmittel als Verrat an der guten Sache?

Wer wie Wallraff glaubt, dass er nur unmittelbar einen Eindruck gewinnen kann, der muss über die Hilfsmittel verfügen, die ihm diesen Eindruck verschaffen. Bedauerlich nicht nur für die Leser, dass er dann meint, beim Ausdruck auf alle sprachlichen Darstellungsmittel verzichten zu können.

// Bücher

Legende und Erzählung

Daniel Siemens
Horst Wessel
Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten
Siedler 2009

Das Motto, das der Autor seinem Buch voranstellt, reflektiert zumeist auf den Gegenstand des Buches. Nicht so bei Daniel Siemens. Er zitiert Paul Veyne: „Die historische Erklärung ist nur die Klarheit, die eine ausreichend dokumentierte Erzählung aufweist.“ Ein Satz, der fast den vollständigen Werkzeugkasten des Historikers enthält: Die historischen Sachverhalte werden klar nur in der Form der Erzählung. Diese aber muss dokumentiert sein. Umgekehrt: was sich nicht erzählen lässt, bleibt im Grunde unklar.

Dahinter steckt für den Historiker eine Tücke und Gefahr, der er meint zu entgehen, wenn er sich der Erzählung verweigert. Nur so glaubt er, dass man seinen Text von den Legenden zum Beispiel über Horst Wessel unterscheiden könne. Davor aber muss er, meint vielleicht Daniel Siemens, keine Angst haben. Den Erzählungen der Nationalsozialisten von Tod und Verklärung des Horst Wessel, den Goebbels als „Christussozialisten“ bezeichnete, stellt er seine Erzählung entgegen, die Erzählung, die Paul Veyne fordert, die „ausreichend dokumentierte Erzählung“.

Die Erzählungen, die Siemens aufspürt, gliedert er in drei Teile. Die Lebensgeschichte Horst Wessels (1907 – 1930), der Geschichte seiner Verklärung in der nationalsozialistischen Propaganda bis 1945 und der lange Weg der Bundesrepublik zur späten Gerechtigkeit. Es kostet viel Zeit und Arbeit, wenn eine Biographie von einer Hagiographie fast vollständig überformt ist. An einer Fülle von Details, die Siemens recherchiert hat, wird aus der Legende eine historische Erzählung. Siemens gelingt mit seinem Buch nicht allein eine Tiefenbohrung in Zeiten und Milieus, die zu den schäbigen Anfängen des Nationalsozialismus zählen, sondern auch eine beeindruckende Geschichte der Mechanismen einer skrupellosen politischen Propaganda.