Literarische Sachbücher

Formen – Funktionen – Praktiken

Organisation: Christian Meierhofer (Karlsruhe/Bonn), Gunther Nickel (Darmstadt), Michael Schikowski (Köln)

Workshop von Non Fiktion in Verbindung mit dem Deutschen Literaturfonds
Bonn, 14. und 15. September 2023

// Sachbuchforschung

Der Modellbaukasten


Mikael Krogerus, Roman Tschäppeler
50 Erfolgsmodelle
Kein & Aber 2008

Dass ein Buch nicht zur Gattung des erzählenden Sachbuchs gehört, soll uns hier nicht davon abhalten, es kurz vorstellen. Denn es ist sehr schön gemacht. Es ist handlich. Und, wichtiger noch, es ist eine wunderbare Basis für die Modellierung der Inhalte und Stoffe des erzählenden Sachbuchs. Daher kann es die hier gelegentlich auftauchenden Empfehlungen an die Sachbuchautoren gut ergänzen. Ein Baukasten, mit dessen Hilfe sich Stoffe strukturieren (und vereinfachen) lassen, um sie danach zu erzählen. Insofern ist dieses Buch über Modelle selbst ein Modell, ein Modellbaukasten.

Die Autoren fordern auch dazu auf, Ergänzungen mitzuteilen. Dieser Aufforderung komme ich gerne nach und wünsche mir das im Buch aufgeführte Sinus-Milieu-Modell (es ist nicht ganz einfach, sich das komplett zu merken) und den ebenfalls dort wiedergegebenen Bourdieu-Kosmos (der ist sehr französisch) ergänzt durch das von Gerhard Schulze entwickelte Modell der Erlebnisgesellschaft.

Der ehrbare Kaufmann

Alte Sachbücher kommen immer wieder in Mode und sei es nur durch den Titel. So ist in den Zeiten der Krise der Finanzmärkte häufiger wieder vom ehrbaren Kaufmann die Rede. Was das denn für einer sei, hat 1936 bereits Theodor Bohner in seiner Geschichte des Handels und der Gewerbe versucht festzustellen. Im ersten Kapitel verteidigt er das Altfränkische des Titels gegen neuere Formulierungen, denn die gerade heute wieder entdeckte Realwirtschaft bildete auch schon damals die Basis aller Wertschöpfungen. Eine Neuauflage des Buches erschien 1956. Die Einleitung und das Inhaltverzeichnis der Erstausgabe lässt sich hier lesen: http://www.sachbuchforschung.de/SBDB/pix/PDF/Bohner-Kaufmann-Inhalt.pdf

Theodor Bohner
Der ehrbare Kaufmann. Ein Jahrhundert in Deutschlands Kontoren und Fabriken
Meiner Verlag

Hassprediger und Hetzkaplan – Sozialfiguren der Kulturkämpfe in Köln

Innerhalb einer Geschichte des Sachbuchs finden sich zahlreiche öffentliche Debatten dokumentiert, die wie die Blaupausen gegenwärtiger Auseinandersetzungen wirken. War doch gerade Köln um die vorletzte Jahrhundertwende eine Hochburg katholischer, das hieß damals „internationaler“, also staatlicherseits irgendwie unzuverlässiger Zeitgenossen. Die Debatten von damals, in deren Verlauf der preußisch-protestantische Staat katholische Priester von der Kanzel herunter verhaftete, ähneln in vielen Punkten der aktuellen Islam- und Migrationsdebatte. Historiker wie Nipperdey sprechen gar davon, dass das deutsche Reich nahezu am Rande eines Bürgerkriegs gewesen sei. Nun, soweit wird es „pro Köln“ nicht bringen.

Die verwandten Elemente der Katholiszismus-Debatte damals und Islam-Debatte heute sind: Unannehmbare Dogmen (Unbefleckte Empfängnis Mariens von 1854, Unfehlbarkeitsdogma von 1870), bewusste Ächtung moderner Errungenschaften (Syllabus von 1864 und 1907), Internationalität vor Nationalität (Ultramontanismus), extreme Bildungsdefizite in katholisch geprägten Gebieten Deutschlands und schließlich die Herausbildung der Sozialfigur des „Hetzkaplans“. Da mag es beruhigend wirken, dass am Ende die Gründung einer Partei der Minderheit und nicht etwa der Mehrheit steht.