„Dieser langweilige und wenig erträgliche Zustand …“
Prof. Dr. Michel Clement
Dipl. Eva Blömeke
Dr. Frank Sambeth
Ökonomie der Buchindustrie
Herausforderungen in der Buchbranche erfolgreich managen
Gabler 2009
Vor wenigen Tagen erschien im Tagesspiegel ein Bericht über den Zustand des Buchhandels im Allgemeinen und des Berufsbilds des Sortimenters im Besonderen. Die dort vielzitierten „bibliophilen Kreise“, die ironischerweise gegen die Buchhändler abgegrenzt werden, die sich ihrerseits doch selbst diesen Kreisen zurechnen oder doch zumindest den Anspruch erheben sollten, zu diesen zu gehören –, eben diese „bibliophilen Kreise“ werden einen Bezug zu einem Artikel von Tucholsky über die deutschen Buchhändler ziehen, der vor 95 Jahren in der Schaubühne erschien.
Tucholsky beklagt dort ein Grundübel und erweist sich damit nicht nur als aktueller denn je sondern auch noch ein wenig hellsichtiger als der Journalist des Tagesspiegels. Während letzterer zwar von ähnlichen Beobachtungen wie Tucholsky ausgeht, stört dieser sich zwar ebenfalls an der mangelnden Sachkenntnis von Buchhändlern. Dies übrigens ein Beleg, dass Bildungsbürger und fachkundige Vielleser die Buchhändler nicht erst seit heute als ungebildet bzw. als ungenügend gebildet empfinden. Tucholsky führt dies auf einen Umstand zurück, der in der Branche ebenfalls nicht neu ist: die Buchhändler verdienen zu wenig. Dann kommt er zu seinem grundlegenden Kritikpunkt, in dem er das Grundübel sieht, nämlich nicht einer Ökonomisierung als solcher, sondern einer fehlenden Sachkenntnis, die nun leider nicht nur die Literatur und die Allgemeinbildung, sondern auch die ökonomischen Leitlinien erfasst hat.
Ökonomisierung ohne Fachkenntnis
So könnte man in Anlehnung an Tucholsky den Taggesspiegelartikel etwas relativieren und sagen, das Problem bestehe nicht in einer fortschreitenden Ökonomisierung der Buchbranche, sondern in einer Ökonomisierung ohne Fachkenntnis. Weder eine alle regionale Unterschiede ignorierende Ökonomisierung noch eine Ökonomisierung, die den Einkauf in zentrale Stellen ohne Kundenkontakt verlagert, noch ein Einsparen an qualifiziertem Personal, noch ein Bestellverhalten, dass sich ausschließlich an der Buchdicke und nicht mehr am Inhalt orientiert, ist eine mit Fachkenntnissen gesegnete Ökonomisierung. Ein aktuelles und wunderbares Beispiel aus der Fachliteratur für die Unkenntnis sowohl der Ökonomie wie der buchhändlerischen Praxis ist der Band „Die Ökonomie der Buchindustrie“, der vor kurzem im Gablerverlag erschienen ist.
Pressespiegel statt Wissenschaft
Dieser Band wurde just in dem Moment auf den Markt geworfen, als die zweite Presswehe der Totgeburt des Sonyreaders die Branche ereilte und sich die berufsberatenden Autoren des Bandes unproportional ausführlich dem Thema E-Book widmeten (der Stand der Dinge rechtfertigt hier wohl inzwischen die Verwendung des Präteritums), besteht ihr Beruf doch in der Durchsetzung von Neuem (oder sollte man besser formulieren – Anderem?) als Selbstzweck. Die Kommentare der Kollegen Buchhändler zu den Texten dieses Bandes sollen hier aus Schicklichkeitsgründen unzitiert bleiben. Ohnehin steht in diesem Band für die Branchenpraktiker nichts Neues – sieht man sich die Literaturlisten genauer an, entdeckt man nur selten einen Text, der nicht im Börsenblatt oder Buchreport veröffentlicht wurde. Dieser Band ist bei weitem kein Ratgeber, der einem Branchenpraktiker bei der täglichen Arbeit oder Ausrichtung seines Betriebs behilflich sein könnte; seinen Grund hat dies in einer weiteren, nämlich einer wissenschaftlichen Unzulänglichkeit: hier werden Brachendiskussionen der Branchenpresse entnommen und lediglich zusammengestellt und wiedergegeben. Auf fundierte (wirtschafts-)wissenschaftliche Erklärungen statt reiner Beschreibungen wartet man vergeblich. Nur aus solchen Erklärungen hätten sich fundierte und zielgerichtete Ratschläge ableiten lassen. Ist es also Selbstironie oder unfreiwillige Komik, dass sich der Band mit dem Begriff „Buchindustrie“ ausgerechnet an Adornos „Kulturindustrie“ anlehnt?