Der Plan der Intriganten

Peter von Matt
Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist
Hanser 2008

Die Literaturwissenschaft als Wissenschaft hat für gewöhnlich ein latent gespaltenes Verhältnis zu literarischen Texten. Es stellt sich als eine Form von Machtkampf dar, der sich nicht äußern darf. Während die Literatur die eigentliche Daseinsberechtigung der zugehörigen Wissenschaft bildet, betrachtet diese literarische Texte häufig als reinen Anlass für ihre Theorien, wenn nicht sogar als Zitatenlieferant für eigene Thesen. Walter Muschg schreibt im Vorwort zu seiner kürzlich neu erschienen „Tragischen Literaturgeschichte“: „An diesen philosophisch gefärbten Werken tritt aber die Schwäche aller bisherigen Literaturgeschichtsschreibung erst recht hervor: daß sie im Grund gar nicht von der Dichtung handelt. Ihr ordnendes Prinzip ist nicht dem Gegenstand selbst entnommen […] Je philosophischer sie ihren Standpunkt wählen und je glänzender sie ihn durchführen, desto offensichtlicher führen sie nicht zur Dichtung hin, sondern von ihr weg.“ Dieses Problem verschärfte sich seit Muschg durch einen falsch verstandenen Strukturalismus.

Peter von Matt versteht es dagegen in seinen Büchern im allgemeinen und der „Intrige“ im besonderen wunderbar, die Theorie an ihren eigentlichen zweckdienlichen Platz und die Literatur selbst in der Vordergrund zu rücken. Nicht selten blitzt dabei sein ironisch gebrochenes Verhältnis zur „tantenhaften Germanistik“ durch, an einer Stelle kritisiert er sogar offen seine Disziplin: „Sie [die Literaturwissenschaftler und Kritiker] wollen beim Autor Klartext lesen, und zwar außerhalb des Werks, in Aufsätzen, Briefen und Tagebüchern. Dieser Klartext sagt ihnen, was der Autor denkt, und nun brauchen sie seine Werke nur noch daraufhin durchzusehen. Irgendwo finden sich immer Spuren des Klartexts, und schon ist das Werk durchschaut.“ Das ist natürlich der Polemik wegen überzeichnet und trifft zwar einen Großteil des germanistischen Tagesgeschäfts und nicht etwa hoch reflexive Ansätze, trotzdem sind damit Skylla und Charybdis abgesteckt, zwischen denen Matt meisterhaft durchsteuert: theoretische Ansätze, die bei sachkundigen Interpreten ihrem Reflexionsniveau aber nicht dem Text gerecht werden, und germanistische Dutzendware, die eine vermeintliche Autorintention in die Texte hineininterpretiert. Beide Ansätze messen literarische Texte an ihren äußerlichen Merkmalen.

Wer glaubt, Peter von Matt müsse die Nähe zu seinem Gegenstand, den literarischen Texten, zwangsläufig mit mangelnder Wissenschaftlichkeit und mageren Ergebnissen bezahlen, muss sich eines besseren belehren lassen. Durch die ausführliche und intensive Lektüre vieler Texte ergeben sich durch Vergleich des jeweiligen Aufbaus Eckpunkte einer Theorie der Intrige und List, die wesentlich gehaltvoller sind, als beispielsweise die pseudowissenschaftlichen Texte Harro von Sengers. Matt beschreibt zunächst die „Planszene“, den Entwurf der Intrige oder um es kompatibel zur Literaturwissenschaft zu formulieren: die Intention des Intriganten. Dass diese Intention sich nicht immer einfach und ohne Gegenwehr durchsetzen lässt, zeigt sich an der „Gegenintrige“. Den Begriff der Anagnorisis entlehnt er Aristoteles und der darauf folgenden Dramentheorie, er bezeichnet den Moment des Sichtbarwerdens von Intrige und Gegenintrige.

Wie nebenbei flicht Matt Exkurse ein, denen viele andere eine ganze Monographie widmen würden: eine Geschichte der Fabel, eine Geschichte der Verkleidung und eine Geschichte des Paars als Täter. Nicht zuletzt diese „Nebenergebnisse“ machen das Lesen dieses Buches zum lehrreichen Vergnügen bzw. vergnüglichen Belehrung. Was könnte ein Sachbuch mehr leisten?