Der tiefe Schützengraben zwischen Propaganda und Literatur
Das äußerste komplexe Thema der Datensicherheit und Bürgerrechte wird in dem Aufruf Writers Against Mass Surveillance auf die Tagesordnung gehoben. Verantwortliche Stellen in der Politik, aber auch der Wirtschaft und Forschung erscheinen von außen – drinnen mag es ja rumoren – wie gelähmt. Da mag das Engagement der Schriftsteller Julie Zeh und Ilija Trojanow nur zu notwendig erscheinen. Wenn es ihnen gelingt, die dafür nicht allein gewählten, sondern auch die dafür vorgesehenen Institutionen, gar die, die man dafür bezahlt, in ihrem Funktionsversagen vorzuführen, dann ist schon viel erreicht.
Aber ist das die Aufgabe der Literatur? Vielleicht überfordert man die Literatur und die Kunst überhaupt, wenn man ihr eine besondere Rolle in der Gesellschaft zumisst, als Korrektiv, als Ermahnung oder auch nur als das Andere? Wie sehr uns aber dieser Anspruch an die Literatur selbstverständlich geworden ist, lässt sich an Ernst Pipers Kulturgeschichte zeigen. Es ist schon erstaunlich, wer sich da alles mit der Produktion feuriger Kriegsverherrlichung engagiert hat.
Diesen Leib, den halt‘ ich hin
Flintenkugeln und Granaten:
Eh‘ ich nicht durchlöchert bin,
kann der Feldzug nicht geraten.
Wenn man bei Piper den Verfasser als Gerhart Hauptmann genannt bekommt, dessen dritter Sohn gerade eingezogen wurde, kommen doch erhebliche Zweifel über den Status der Literatur auf. Vielleicht ist Literatur so etwas wie Werbung, nur nicht ganz so bunt? Begriffsgeschichtlich erfand man sich zur Distanzierung derartiger literarischer Erzeugnisse den Begriff der Propaganda und setzte ihn vor die hochkulturellen Erzeugnisse als Propagandafilme oder Propagandaliteratur, als sei zwischen ihr und dem Film und der Literatur nun ein tiefer Schützengraben.
Anton Holzer hat ein Bilderbuch des Krieges mit Texten von Karl Kraus, aus seinem unaufführbar umfangreichen Theaterstück Die letzten Tage der Menschheit kombiniert. Kraus ist ja – vor allem für den Auftakt des Krieges – neben Romain Rolland und Friedrich W. Förster einer der ganz wenigen, die vom Augenblick der Kriegserklärungen dagegen waren. An Kraus hängt damit das ganze Selbstbild der sensiblen und wetterfühligen Kultur, irgendwie dann doch dagegen gewesen zu sein oder, besser noch, irgendetwas geahnt, vorgefühlt zu haben. Alles Unsinn, Kraus erreichte die Nachricht, wie Holzer berichtet, auf einer Urlaubsreise und er hat nichts geahnt, gefühlt, er wusste einfach: das kann tödlich enden, auch bei einem Sieg.
Klaus-Jürgen Bremm
Propaganda im Ersten Weltkrieg
Theiss 2013
Anton Holzer
Die letzten Tage der Menschheit.
Der Erste Weltkrieg in Bildern
Mit Texten von Karl Kraus
Primus 2013
Ernst Piper
Nacht über Europa
Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs
Propyläen 2013