Dialektik des Schädels
Tobias Quast
Der Tod steht uns gut
Vanitas heute
Nicolai 2012
Der Schädel, das war einmal der große Gleichmacher. Der Sozialist des Christentums. Denn ihm war nicht anzusehen, ob sein Träger schön oder hässlich, arm oder reich war. Einerseits. Denn andererseits bedeutete diese Gleichmacherei auch, dass man immer selbst gemeint war. Deshalb der Schrecken, den der Schädel bereitete.
Inzwischen hat der Schädel jeden Schrecken und auch alles irgendwie Anstößige, das ihm noch vor Jahrzehnten anhaftete, verloren. Das Anstößige bestand genau darin, dass der Schädel ein Zeichen war, das sich an den Einzelnen richtete, das ihm zeigte: „Es ist alles eitel.“ Nun klebt der Schädel überall und weist ins unbestimmte Allgemeine.
Wieviele facebook-Freunde, die man hat, sind schon tot? Wenn es mehr werden und immer weniger nachrücken, wie verhält man sich dann? Im Kapitel „Vanitas digital“ erläutert Quast, dass man das Profil eines Verstorbenen in einen Gedenkmodus bringen kann, bei dem der Freundeskreis eingefroren wird und nur noch dieser auf die Seite zugreifen kann. Ein Himmel digitaler Ewigkeit, statt der sprichwörtlichen Wolke, auf der der Verstorbene sitzt, nun die Cloud.
Tobias Quast, der über Funktion und Wandel der Vanitas im Werk von Alexander Pope promovierte, hat einen ebenso eleganten wie intelligenten Essay zum Vanitas-Motiv in Literatur, Theater, Film und Internet geschrieben. Darin zeigt er überzeugend, dass der übermäßige Gebrauch dieses Motivs ins Gegenteil umschlägt und, wie es bei Quast heißt, im Falle des Vanitas-Motivs in ein „Versprechen eines neuen Jenseits“ mündet.