Die Autorität altehrwürdiger Akademiker

Richard Rorty
Philosophie als Kulturpolitik
Suhrkamp 2008

Es gibt eine wunderbare akademische Textgattung, die die üblichen Regeln wissenschaftlichen Schreibens in dieser Form nicht einhalten muss, und deshalb in der Lage ist, den Akademikern in unterhaltsamer und bisweilen eindringlicher Weise ihre Eigentümlichkeiten und vermeintlichen Verfehlungen vorzuhalten. Ich spreche von den Essays altehrwürdiger akademischer Autoritäten. Möglich ist das deshalb, weil die Texte allein durch die Autorität der jeweiligen Autoren ihr Gewicht und ihren Widerhall in der jeweiligen Disziplin erhalten. In diesem Fall ist es der letzte Sammelband mit Essays von Richard Rorty. Ein Kritikpunkt, den der Sammelband mit vielen populären philosophischen Sachbüchern teilt, ist die Kritik an der Fachsprache. Allerdings unterscheidet sich die Kritik in beiden Fällen in ihrer Zielrichtung. Während das populäre Sachbuch die Fachsprache im allgemeinen ihrer Unverständlichkeit halber kritisiert, kritisiert Rorty den philosophischen „Jargon“ insofern, als er bisweilen nicht auf die Präzisierung von Sachverhalten, sondern auf die Simulation einer vermeintlichen „Tiefe“ abzielt: „Sowohl die Berufung auf etwas Überwölbendes und Unverwundbares als auch die Berufung auf etwas unaussprechlich und unerschöpflich Tiefes sind Reklamesprüche und PR-Maschen – Methoden zur Erregung von Aufmerksamkeit.“ Außerdem kritisiert er die Trennung zwischen angelsächsischer „analytischer“ und „kontinentaler“ Philosophie, die ihren Grund nicht nur in fachlichen Differenzen hat. Auf geradezu lakonische Weise stellt Rorty fest: „Sie können nur auf eine begrenzte Anzahl potentieller Arbeitgeber einen positiven Eindruck machen. (…) Falls er doch eine gewisse Vielseitigkeit ausbildet, wird das häufig erst später im Leben geschehen, normalerweise erst dann, wenn er eine Lebensstellung hat. (…) Das Universitätsstudium der Philosophie ist (…) immer schon recht provinziell gewesen.“.

Rorty trifft hier die Philosophie in ihrem seit Platon eingebrannten Selbstverständnis als Wahrheitssuche. Dass die philosophische Wahrheitssuche durch ökonomische Zwänge und institutionelle Grabenkämpfe (mit)bestimmt wird, ist dagegen eine noch junge Erkenntnis. Als Statthalter der ökonomisch bedingten Argumentation wurden seit Platon die Sophisten verteufelt, ein konstruiertes Zerrbild des Gegners, durch das man umso „reiner“ erscheinen konnte. Ein weiteres Selbstverständnis der Philosophie ist der Glaube, da die Philosophie keinen eng begrenzten Gegenstand wie manch andere Disziplin habe, könne man alles zum Gegenstand machen, da das Disziplinspezifische in der Vernunftanwendung liege. Andererseits aber konzentriert man sich auf sehr eng definierte Problemstellungen, die allein begrifflicher Natur sind. Schon Kant fand deutliche Worte dafür: „(…) daß sie (die Metaphysik) vielmehr ein Kampfplatz ist, der ganz eigentlich dazu bestimmt zu sein scheint, seine Kräfte im Spielgefechte zu üben, auf dem noch niemals irgend ein Fechter sich auch den kleinsten Platz hat erkämpfen und auf seinen Sieg einen dauerhaften Besitz gründen können. Es ist also kein Zweifel, daß ihr Verfahren bisher ein bloßes Herumtappen, und, was das Schlimmste ist, unter bloßen Begriffen, gewesen sei.“. Rorty warnt ebenfalls vor rein scholastischen Problemstellungen: „Diese Studenten laufen Gefahr, Dissertationen mit womöglich überaus kurzer Halbwertszeit zu schreiben – Dissertationen, die von der nächsten Generation mit Mißachtung gestraft oder sogar mit Spott bedacht werden. Nach unserer Auffassung sind historisches und metaphilosophisches Bewußtsein der beste Schutz gegen unfruchtbare Scholastik.“
Wir wünschen uns mehr dieser mit viel Verve geschriebenen „metaphilosophischen“ Essays.