Hohenzollernlegenden – Personal Struktur Material

John C. G. Röhl
Wilhelm II. Der Weg in den Abgrund (1900-1941)
C. H. Beck 2008

Der 150. Geburtstag Kaiser Wilhelm II. ist gerade ziemlich geräuschlos vorüber gegangen, das Werk von John C. G. Röhl über den letzten deutschen Kaiser mit dem dritten Band vollendet, da fällt mir ein ganz anderes Buch über Wilhelm II. von 1925 in die Hände. Es stammt von Emil Ludwig.

Röhl, der hier ja mehr ein Quellenwerk herausgegeben als eine Biographie geschrieben hat, versucht darin nichts geringeres als Wilhelm II. als Person wieder mit der Weltgeschichte in Verbindung zu bringen. Seine Zunft hatte den Hohenzollern als handelnde Person aus der Weltgeschichte fast herausgeschrieben.

Interessanterweise verfolgt Emil Ludwig in seinem Buch Absichten, die denen Röhls gar nicht so unähnlich scheinen: „Hier ist der Versuch gemacht, aus den Charakterzügen eines Monarchen unmittelbar die weltpolitischen Folgen, aus seinem Wesen das Schicksal seines Volkes zu entwickeln“, schreibt er in der Einleitung. Die Zunft allerdings, in der Person Hans Delbrücks und Wilhelm Mommsens mit der sogenannten „Versailler Schuldlüge“ befasst, war damals sofort über dergleichen „historische Belletristik“, zumal sie erfolgreich war, schwer beleidigt. „Kitsch“, rief Delbrück, da die Polizei zu rufen nichts genutzt hätte.

1964 versuchte es immerhin Immanuel Geiss mit einer Neuausgabe von Ludwigs Buch. Geiss war als Schüler Fritz Fischers von der „Schuldlüge“ der historischen Zunft gründlich kuriert. Ohne Erfolg. Ludwig bleibt vergessen. Das im Kern politische Geschmacksurteil Delbrücks setzte sich erneut durch.
Denn die Verwissenschaftlichung des Fachs versperrte diesen Zugang zur Geschichte dauerhaft. Strukturen, Systeme und Diskurse machten die Geschichte, nicht Personen. Wusste man sich doch auch von Adorno bestätigt, nach dem „der schlechte Essay von Personen erzählt, anstatt die Sache aufzuschließen“. Wer anders vorging, wie zum Beispiel Golo Mann – um von Ricarda Huchs wunderbarem Buch über den Dreißigjährigen Krieg erst gar nicht zu reden -, geriet in Verruf, zumal wenn sich dann auch noch prompt wie bei Ludwig große Erfolge beim Publikum einstellten. Und Röhl schreibt eine Biographie, in der nun nicht mehr Strukturen und Systeme, sondern der Materialreichtum die Erzählung vom Menschen wie Bleigewichte beschweren.