Hollyreuth
Das Wagner-Jahr 2013 scheint sich weniger in Konzerthäusern als auf Büchertischen abzuspielen. Das kann dann aber auch bedeuten, dass es eine geben kann, die in Darstellung und Inhalt die klassische populäre Darstellung Wagners von Martin Gregor-Dellin von 1980 ersetzt.
Diese neue große Biografie Wagners stammt zweifellos von Martin Geck. Sie ist hervorragend geschrieben und handelt glücklicherweise von dem, was bei Wagner wichtig ist: Musik. Gleichwohl stand am Anfang das Drama, die Inszenierung und dann erst kam bei Wagner die Musik. Geck geizt nicht mit Musikbeispielen, die zeigen wie es gemacht ist. Der ganze geistesgeschichtliche Firnis, der die unübersehbare Wagneriana überzogen hat, ist damit erst einmal ausgewischt.
Der Firnis besteht manchmal auch nur aus einer Schicht Altfett. Bei Christian Thielemann erfährt man: „Die Wagners aßen gerne Wurstsalat.“ Das Buch geht aus Aufnahmen hervor. Irgendwer hat vergessen zu schneiden.
Dann doch lieber gleich Ludwigs Marcuses Wagner-Buch, das bereits 1963 erschien und die ganze Wagnerei durch die süß-saure Soße, die Marcuse drübergoss, erst halbwegs genießbar werden lässt. Immer noch lesbar, weil auf jeder Seite mit szenischer Genauigkeit. Das Inszenieren ist von jeher die Lieblingsbeschäftigung der Wagners. Wagner im niederländischen Malerkostüm: Kniehose mit seidenen Strümpfen, ein Rock aus Samt. Hollyreuth.
Neuere Biographien haben ja kein Problem mit dem Material. Es reicht längst. Jetzt geht es eher darum, die richtigen Schnitte zu setzen. Martin Geck, das zeigt sich auf jeder Seite, handhabt das Messer beherzt. Zwei Doppelbiografien – dies hier eingeschoben – sind außerdem erschienen, von Kerstin Decker über Nietzsche und Wagner, von Eberhard Straub über Wagner und Verdi.
Das Problem des Materials besteht darin, die Ausstrahlung des Künstlers zu begrenzen, die sich auf alles ausdehnt, seine trivialen Gewohnheiten und vollkommen belanglose Gegenstände. Im Umfeld des Künstlers, allemal dem, der tausendfach dargestellt wurde, erfährt nun jedes und alles etwas vom Abglanz der großen Persönlichkeit. Irgendwann wimmelt es nur noch von bedeutsamen Begebenheiten und wichtigen Gegenständen. Über den Dirigenten Thielemann erfährt man: „Ich mag keinen Wurstsalat.“
Kerstin Decker
Nietzsche und Wagner
Geschichte einer Hassliebe
Propyläen 2012
Martin Geck
Wagner. Biographie
Siedler 2012
Eberhard Straub
Wagner und Verdi
Klett-Cotta 2012
Ludwig Marcuse
Richard Wagner
Ein denkwürdiges Leben
Diogenes 2013 (zuerst 1963)
Christian Thielemann
Mein Leben mit Wagner
C. H. Beck 2012