Satelliten zurück in der Atmosphäre

Stephan Porombka, Erhard Schütz (Hrsg.)
55 Klassiker des Kulturjournalismus

Siebenhaar Verlag, Berlin 2008

In der Werbung für Sprudelwasser sieht man nie wie das Wasser irgendwo in der Tiefe abgezapft und mittels moderner Technik verarbeitet wird. Statt dessen ist immer von uralten Quellen die Rede und dass mit diesem Wasser die ganze Weisheit und Kraft der Jahrtausende alten Erde in der Flasche auf den Tisch kommt. Nicht anders verhält es sich in der Sachbuchforschung. Zu Recht übrigens. Wer was auf sich hält, malt sich einen Stammbaum. Wer eine Gattungsgeschichte zu verfassen gedenkt, wird sie nicht im Vorgestern beginnen lassen, sondern versucht möglichst tief aus dem Brunnen der Vergangenheit zu schöpfen.

Genauso Stephan Porombka und Erhard Schütz, die die 55 Klassiker des Kulturjournalismus herausgeben und im Barock mit Georg Philipp Harsdörffer beginnen. Im Titel fehlt der Hinweis darauf, dass hier ausschließlich deutschsprachige Klassiker vorgestellt werden. Gegenüber dem Feuilleton, dem ein bestimmter Publikationsort zugewiesen werden kann, so wie dem Sachbuch eine bestimmte Publikationsform, fehlt dies alles im Begriff des Kulturjounalismus. Allein schon der Begriff wirkt bei näherer Betrachtung in sich widersprüchlich. Ein Journalist ist mal mit einem Fußballspiel, dann mit einem Parteitag und dann mit dem flashmob auf der Domplatte befasst. Nun, und manchmal zieht er über die Kollegen her. Vielleicht ist das ja dann Kulturjournalismus?

Die Herausgeber bekennen auch gleich: „Wer nach einer bereits erzählten und geordneten Geschichte des Kulturjournalismus sucht, wird nichts finden. Folgerichtig gibt es auch keinen offiziellen Kanon kulturjounalistischer Texte. Es gibt keine offizielle Poetik und kein offizielles Programm. Es gibt auch keine Tradition der Bildung von Gruppen oder Schulen, die Manifeste produzieren und sich auf einem – wie auch immer zugeschnittenen kulturjournalistischen Feld – gegen andere Gruppen oder Schulen positionieren.“

Die Einigung auf 55 wirkt so willkürlich wie spielerisch, und listig fordern die Herausgeber denjeingen auf, der auf noch fehlende Texte und Autoren hinweisen möchte – wie zum Beispiel die von Hermann Bahr oder Alice Schwarzer – zugleich diejenigen zu bezeichnen, die rausfliegen. So handzahm und langweilig wie Schärf in diesem Buch über Adorno schreibt, dessen Minima Moralia ein Schlüsseltext des Kulturjournalismus bildet, so schmerzlich vermisst man Friedrich Nietzsche. Der Einfluss Adornos wird in manchen der Texte geltend gemacht, aber noch immer im pflichtschuldigen Gestus der Besinnung auf das was wir ihm zu verdanken haben. Von der Bürde, die Nietzsche und Adorno für den Kulturjounalismus bis heute bedeuten, hätte ich gerne etwas gelesen.

Es wundert nicht, dass Porombka und Schütz Kulturjournalismus sehr weit fassen: „Er beobachtet, beschreibt und reflektiert Kultur als etwas, das durch Menschen als etwas Sinnhaftes hergestellt wird. Kultur erscheint ihm als herstellbares, in dauernder Herstellung befindliches Sinnkonstrukt, das sich nach selbst wiederum veränderlichen kulturellen Regeln verändert.“ Und, so müsste man ergänzen, kulturjounalistisches Schreiben als Beobachterposition des Satelliten ist für Schriftsteller, denen es gelingt in das Buch 55 Klassiker des Kulturjournalismus aufgenommen zu werden, der Wiedereintritt in die Atmosphäre der Kultur.