Sich mit fremden Federn schmücken

Harro von Senger
(Moulüe) Supraplanung. Unerkannte Denkhorizonte aus dem Reich der Mitte
Hanser 2008

Um die Pointe vorwegzunehmen: die Bücher Harro von Sengers lassen sich adäquat nur dann lesen, wenn man sie selbst als ’strategemisch‘ betrachtet. Nehmen wir das Beispiel seines neuesten Buches: während Senger bislang beteuerte, seine ‚Strategemkunde‘, die auf einem altchinesischen Katalog von 36 Listtechniken beruht, habe nichts mit Strategie zu tun, überrascht er nun seine Leser mit einem Konzept von dem er behauptet, es gehe über das westliche Strategieverständnis hinaus. Dabei definiert Senger die ‚Supraplanung‘ als dritte Ebene über den altbekannten Ebenen von Taktik und Strategie. Bei einer derart revolutionären These darf man auch bei einem Sachbuch auf eine qualitative Begründung hoffen. Allerdings erfolgt die Definition von ‚Supraplanung‘ allein über deren Dauer: Chinesen planten auch über Jahrtausende. Das kennt man hierzulande allenfalls vom ‚Tausendjährigen Reich‘. Warum eine zeitliche Ausdehnung allerdings eine qualitativ neue Ebene über der Strategie rechtfertigt, bleibt auf der sachlichen Ebene hier unbegründet. Aber wir wollen ja auch auf die strategemische Absicht des Textes zielen.
Der einzig lesenswerte Teil des Buches verdanken wir Peter von Matt, der sich auf ein Interview mit Senger eingelassen hat (Peter von Matt hat ein wunderbares Buch über die Intrige geschrieben). Darin weist er Senger übrigens auf handwerkliche Fehler hin, die auch in einem Sachbuch unverzeihlich sind: das Zitieren von Wortbeschreibungen aus dem Duden als
Definitionen, das Belegen durch Zitate aus Zeitungsartikeln, Googleergebnisse als Statistiken usw. ‚Eigentlich‘ unverzeihlich, denn hier geht es nicht um Argumentation, sondern um Strategeme bzw. Eristik: Senger will durch List überzeugen, nicht wasserdicht argumentieren.

Fassen wir alles zusammen, bietet sich uns folgendes Bild: Harro von Senger ist nach eigener Darstellung derjenige, der den Westen mit Hilfe der 36 Strategeme auf seine Listenblindheit aufmerksam gemacht hat, der die 36 Strategeme systematisiert hat und der uns nun eine neue Ebene strategischen Denkens beschert, die eine Planung über Jahrtausende ermöglicht. All das hat angeblich nicht nur nichts zu tun mit dem, wogegen er polemisiert: westlicher Intrigenkultur, Fabeln, Strategiekunde, Spieltheorie usw., sondern ist auch angeblich viel systematischer als all das. Jeder wissenschaftlich gebildete Leser darf sich allerdings fragen, worin bei einer
Ansammlung von 36 Sprüchen und deren Ausschmückung durch Beispiele das System besteht? Dass wir solche Sprüche zuhauf kennen und auch anwenden bzw. deren Anwendung erkennen können, sieht man an der Überschrift. Übrigens entspricht unser ‚Sich mit fremden Federn schmücken‘ in etwa dem Strategem 29: ‚Einen dürren Baum mit künstlichen Blumen schmücken‘.

(Michael Buchmann)