Wahnspiele

Andy Hahnemann
Texturen des Globalen
Geopolitik und populäre Literatur in der Zwischenkriegszeit 1918 – 1939
Universitätsverlag Winter 2010

In den allgemein gebräuchlichen Bezeichnungen wie der ‚geistigen Brandstiftern‘ und ‚irregeleiteter Wirrköpfe‘ drückt sich das Spannungsverhältnis von Geist und Tat aus. Wie eine Gesellschaft Geist und Tat ineinander vermittelt, lässt sich an ihren populären Kommunikationsmedien besonders gut zeigen.

Andy Hahnemanns Dissertation, hervorgegangen aus dem Forschungsprojekt um Erhard Schütz (Berlin)und Stephan Porombka (Hildesheim), zeigt diese Verflechtung von Geist und Tat als die Texturen des Globalen genau und ausgezeichnet lesbar.

Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen die geopolitischen und geostrategischen Bücher von Anton Zischka, Ivar Lissner, Hans Dominik, Walther Pahl, Colin Ross, Margret Boveri, A. E. Johann, Paul Schmitz-Kairo und Eugen Diesel. Eine Literatur, die höchst voraussetzungsreich ist. Aus zwei Gründen.

Einerseits ist sie nur in Kenntnis der nahezu tagespolitischen Zusammenhänge der Zeit von 1918 bis 1939 zu verstehen. Diese Zusammenhänge betreffen nicht allein Erdkundliches, sondern auch Wirtschaft und Politik, sie werden von Hahnemann nicht eigens beschrieben, gleichwohl bilden sie eine wichtige Voraussetzung. Dabei ergeben sich andererseits Begriffe wie Interessens- und Einflusssphären, die höchst unscharf sind und sowohl als irreale Phantasma erscheinen, sich aber zugleich als konkrete politische Handlungsanweisung auswirken können.


Ein Prospekt wahrer „Goldstücke“

Unter der Überschrift Globalisierung ist das neuerliche Interesse an diesen Zusammenhängen unübersehbar. So lässt sich Andy Hahnemann auch darauf hin ertragreich lesen, was man mit geopolitischen Argumentationen an Aufmerksamkeitsteuerung, zum Beispiel mit der Wendung von Peter Struck, als der „Verteidigung Deutschlands am Hindukusch“ , bewerkstelligen kann.

Zugleich offenbart sich in diesen Texten eine komplexe Struktur von furchterregender Allmachtsphantasie, der Landgewinnung im Mittelmeer (Hermann Sörgel) und Überschwemmungsangst durch China, begrifflich verdichtet als ‚gelbe Gefahr‘. Hier wäre damit reichlich Material für eine Fortsetzung der Männerphantasien, die Klaus Theweleit 1977 veröffentlichte.

Die älteren Leser dieses Buches werden gar – wie der Rezensent – sich daran erinnert fühlen, was an Sprachmustern und Welterklärungspartikeln im gedanklichen Hausrat der Großeltern sich davon fand. Andy Hahnemann erschließt uns hier die Quellen dieser Vorstellungen.

Weitere Aufgaben

Diese Arbeit ist grundlegend. Welche Anschlüsse an sie sind denkbar? Der Vorschlag von Stefan Hermes in seiner Besprechung Vom Kampf der Kontinente für literaturkritik.de, den Lichtkegel auf Fiktion auszuweiten, führt nur zu der üblichen Selbstnobilitierung über Namen, die im Kindler eine Rolle spielen und die Hermes auch prompt alle nennt. Dass Andy Hahnemann selbst genau dieser Verlockung widersteht, ist beispielhaft.

Interessanter erscheint also die Parzellierung des Konvoluts nach Einzeluntersuchungen. Dazu gehört die Geschichte populärer Wortprägungen, die Rezeption durch gewaltgeprägte Männerbünde und die Verfolgung so unterschiedlich verlaufender Karrieren wie die von Colin Ross, der sich 1945 erschießt, und die von Ivar Lissner, der nach dem Krieg Chefredakteur der Zeitschrift Kristall wird.

Realitätseffekte

Der Mechanismus von Geist und Tat zeitigt Phänomene, die man nur in genauer Analyse erschließt. Diese setzt weniger Ideologiekritik voraus, als eigentliche Lektüre. Dabei kann Andy Hahnemann die verblüffende Feststellung machen, dass in dem Augenblick, als die Nationalsozialisten ihre geopolitischen Vorstellungen in die Tat umzusetzen begannen, die Autoren zunehmend sachlicher und realistischer wurden. „Sind die 20er Jahre von einem oft ins Fantstaische gehenden Überschwang gekennzeichnet, findet in den 30er Jahren eine sichtbare Versachlichung statt“, schreibt Hahnemann.

Andy Hahemann hat mit den Texturen des Globalen einen Textkorpus erschlossen, in dem Geist und Tat ein unentwirrbares Geflecht ergeben, das in seiner Rhetorik der Selbstimmunisierung scheitert: „Interessiert ist diese Ästhetik stets nur an Phänomenen der Konzentrationen, der Marschrichtungen und Homogenisierungen; alles andere erscheint als vernachlässigbar und gilt als überflüssig.“ Die Katastrophe, als die Weltgeschichte angesehen wird, wird erzeugt.