Wofür fünf Goldtaler?
Neue Geschichte der deutschen Literatur Herausgegeben von David E. Wellbery, Judith Ryan, Hans Ulrich Gumbrecht, Anton Kaes, Joseph Leo Koerner. Übersetzt von Volker von Aue, Christian Döring, John von Düffel, Peter von Düffel, Helmut Ettinger, Gerhard Falkner.
Berlin University Press 2007
Ich habe mir immer schon mal gewünscht, ein Buch allein dadurch vorzustellen, dass ich Ihnen etwas aus dem Inhaltverzeichnis zitiere. Bei einem solchen Mammutwerk wäre das zu unserer Überraschung an keiner Stelle langweilig: 1147 – Hildegard von Bingen schreibt an Bernhard von Clairvaux; 12. November 1203 – Walther von der Vogelweide erhält fünf Goldtaler, um sich einen Pelzmantel kaufen zu können; Sommer 1805 – Goethe verfolgt hinter einem Vorhang verborgen Friedrich August Wolfs Vorlesung an der Universität Halle; 1818 – Daniel Schmolling wird für die Ermordung seiner Verlobten hingerichtet.
Wir fragen uns unwillkürlich, was schrieb Hildegard, wofür fünf Goldtaler, wieso hinter einem Vorhang? Bei dem Mord des Daniel Schmolling liegt die Pointe darin, dass der Richter im Berufungsverfahren kein Geringerer als E.T.A. Hoffmann war.
Mit diesem feuilletonistischen Verfahren, ein besonderes Vorkommnis an den Anfang der germanistischen und kuturwissenschaftlichen Aufsätze zu stellen, wird ein Schlaglicht auf ein Netzwerk von Verbindungen wirklicher Menschen geworfen, Menschen, die reden, schreiben und handeln, die sich hinter einem Vorhang verstecken oder sich, da nur wirkliche Menschen wirklich frieren, für fünf Goldtaler einen wärmenden Mantel kaufen – da sind die paar Euro für diese Schatz- und Fundgrube der deutschen Literatur nicht weniger gut angelegt, auch wenn Eichendorff, der Jubilar des Jahres 2007 fehlt.