Geglücktes Spiel

Andreas Diekmann
Spieltheorie. Einführung, Beispiele, Experimente
Rowohlt 2009

Die Reihe „Rowohlts Enzyklopädie“, herausgegeben von Burghard König, ist nicht nur aus dem Bereich der wissenschaftlichen Literatur nicht mehr wegzudenken. Viele Bände dieser Reihe hatten sich schon seit jeher dadurch ausgezeichnet, wissenschaftliches Grundlagenwissen aufs Konkrete anzuwenden, ohne deshalb unzulässig zu vereinfachen. Oder anders ausgedrückt: viele Bände dieser Reihe vereinigen die Vorzüge von Fach- und Sachbüchern in sich und verstehen es, die jeweiligen Nachteile zu vermeiden.

Ein besonders geglückter Band ist das Buch über Spieltheorie des Soziologen Andreas Diekmann. Bislang haben Darstellungen der Spieltheorie deren mathematischen Ursprung deutlich betont, was bisweilen soweit ging, dass sich eine vermeintlich populäre Darstellung „Spieltheorie für Nichtmathematiker“ betitelte, um den vermeintlichen Verständniszuwachs nur ja als Mangel an Sachverstand herauszustreichen.

Ganz anders die Darstellung von Diekmann, der so klug war zu erkennen, dass die Anwendung der Spieltheorie auf soziale Interaktionen nicht eine Übertragung eines mathematischen Modells mit zwangsläufigem Komplexitätsverlust ist, sondern dass umgekehrt soziale Interaktionen deutlich auch die Schwächen des mathematischen Modells zeigen und dass eine Entscheidungssituation nicht zwangsläufig auf eine einfache Matrix beschränkt werden kann, sondern dass auch immer wieder die einer Matrix zu Grunde liegenden Spielregeln zum Gegenstand des „Spiels“ gemacht werden können.

Als Beispiel sei hier das Modell des legendären Chickenspiels angeführt: zur Veranschaulichung dient in der Literatur in der Regel die Situation einer Mutprobe. Zwei Kontrahenten steuern mit ihren Wagen direkt aufeinander zu. Wer zuerst ausweicht, gilt als Feigling und hat verloren. Weichen beide nicht aus, kommt es zur Katastrophe. Natürlich analysiert Diekmann das Modell und referiert wie auch die herkömmliche Literatur, dass es hier keine dominierende Strategie gibt, zwei Nash-Gleichgewichte existieren, die beide Pareto-optimal sind. Soweit, so technisch.

An diese Untersuchung fügt Diekmann einen hervorgehobenen „Kasten“ mit einer Übertragung auf die Kubakrise und den Kalten Krieg an. Legendär die Forderung des renommierten Spieltheoretikers Neumann, man solle die Sowjetunion angreifen, solange sie noch nicht im Besitz der Atombombe sei. Leider vermisst man an dieser Stelle zumindest einen kurzen Hinweis auf die Analyse der strategischen Situation des Kalten Krieges durch den ebenfalls renommierten Spieltheoretiker Morgenstern: „Strategie – heute“.

Nach der Darstellung kommt Diekmann zu dem Schluss: „Oft ist der Feigling der Vernünftigere, der die Katastrophe verhindert; am vernünftigsten ist es aber, das Spiel gar nicht erst zu beginnen.“ So wird die Schwäche für sich allein stehender Matrizes, wie sie sich leider wie selbstverständlich in vielen Einführungen finden, deutlich: die Spieltheorie ist ein Modell, das mit seinen Vorannahmen steht und fällt.

Ein sozialwissenschaftlicher Zugang ist notwendig, um einerseits diese Vorannahmen explizit und damit diskutierbar zu machen, und um andererseits Faktoren zu liefern, ohne die eine Simulation einer Entscheidungssituation, wie man am Beispiel des Kalten Krieges sieht, bis zur Falschheit verkürzt ist. So sieht man, wie aus der vermeintlichen Schwäche einer praxisnahen Darstellung und einer Übertragung aufs Sozialwissenschaftliche die eigentliche Stärke des Einführungsbandes erwächst und die tatsächliche Schwäche der rein mathematischen Modelle und ihrer unreflektierten Übertragung auf außermathematische Gegenstände deutlich werden lässt.

Außerdem zeichnet diese Einführung aus, dass sie sich nicht wie fast alle anderen auf eine normative Spieltheorie beschränkt, sondern dass sie sich darum bemüht, möglichst viele und auch aktuelle „Spielarten“ der Spieltheorie darzustellen. Was andernorts schmerzlich vermisst wird, wird hier anschaulich und praxisnah und dennoch ohne Komplexitätsverlust dargestellt: Evolutionäre Spieltheorie und Experimentelle Spieltheorie.