Im Maschinenraum des Literaturbetriebs

Für den Literaturbetrieb lässt sich keine verlässliche Defintion auftreiben, meint Michael Buchmann. Daher hat er für seine Literaturbetriebsforschung in Karlsruhe einige historische Texte aus dem Maschinenraum der Literatur aufgesammelt und erörtert in seinem Seminar unter Mithilfe von Prof. Dr. Schmidt-Bergmann, Bernt Ture von zur Mühlen und Dr. Bernd Villhauer die Mechanik des Betriebs. Im Vorgriff auf meinen Beitrag zum Thema, der am 9. Juni 2009 unter dem Titel „Der Betrieb – Bücher machen, kommunizieren und verbreiten“ statt findet, hier einige Bemerkungen zu den Nebengeräuschen aus dem Maschinenraum des Literaturbetriebs.

Die Maschine ist zu laut

In besonders emphatischer Weise, die sich um keine empirische Grundierung der Überlegungen mehr kümmert, ist immer häufiger vom direkten Verhältnis des Autors zu seinen Lesern die Rede. Als sei der Weg vom Laptop des Autoren auf den Bildschirm des Lesers ein Weg, der die Mittler, die nichts weiter als Störer und Verhinderer seien, endlich überspringen kann. Allerdings, mit den Büchern und ihrer Digitalisierung verhält es sich wie mit der Schule, alle besuchten eine und daher können alle mitreden. Die Art der munteren Unmittelbarkeit zwischen Autor und Leser hat den Charme, den alle Ideen der Vereinfachung der Verhältnisse haben. Man stellt die Maschine ab und schickt die Belegschaft nach Hause. Dann ist Ruhe und Autor und Leser schauen sich tief in die Augen.

Vergleiche mit der Musikindustrie

Der Vergleich mit dem Untergang der verbreitenden Musikindustrie, von der ja die Mär erzählt wird, dass sie sich dem Fortschritt verweigert hätte, ist ein häufig zu lesender Missgriff, der besonders gut zeigt, wie blödsinnig begeistert man sich selbst im Feuilleton gibt. Musik ist ein von Texten wohl zu unterscheidendes Medium, dessen Unmittelbarkeit gegenüber Texten jeder sofort erfährt, sofern er Musik hört und Texte liest. Man kommt also im Grunde selbst drauf.

Topografie des Wissens

Mancher wird das kennen, dass man noch weiß wo in der vorletzten und vorvorletzten Wohnung ein bestimmtes Buch stand, wo die Anstreichungen waren oder der Eckenknick. Nun, wer das nicht kennt, stellt seine Bücher ohnehin alphabetisch auf. Dass die Topografie des Wissens in E-books simuliert werden kann, ist richtig und wäre eine interessante Dialektik. Denn in der Rede vom entindividualisierten Buch in digitalisierter Form steckt zugleich das Gegenteil: Nicht nur im DAM-Sicherungscode, mit dem die Weitergabe der Daten verhindert wird, wird das digitale Buch reindividualisiert. Auch in der Möglichkeit Randnotizen, Verweise, Glossen und Erläuterungen abzuspeichern, stecken Verfahren, die das digitale Buch fast zum Palimsest werden lassen, zu einem – je nach dem, wer dort reingeschrieben hat – Hypertext, den man als E-only veröffentlichen könnte. Solche und die weiteren zahlreichen Rückkopplungseffekte auf das gedruckte wie auch das digitale Buch sebst werden noch viel zu wenig berücksichtigt.

Totenscheine – jeder kommt mal dran

In der Regel werden vor allem Teilbereiche der Literatur dem Untergang geweiht. Die Prognosen über Warengruppen, die es angeblich treffen soll, schießen heftig ins Kraut. Im Grunde weiß aber niemand, was die Digitalisierung der Literatur bedeutet. Jürgen Neffe räumt, wohl nicht ohne Hintergedanken, neben den Romanen und Wörterbüchern nur den Biografien eine Überlebenschance ein. (ZEIT, 23.04.2009) Dass man gerade dem Fachbuch so gerne schon den Totenschein ausstellt, zeigt eine besonders dramatische Unkenntnis der Kostenstruktur der Digitalisierung komplexer Texte mit Tabellen, Grafiken und Bildern. Wer das in den Chefetagen deutscher Großbuchhandlungen liest – es steht ja schließlich in der Zeitung – denkt schon an die Flächenverkleinerungen in dieser ansonsten stabilen und von Moden extrem unabhängigen Warengruppe. Der Vorteil ist jedoch, dass die Verkleinerung der Fläche den angelesenen Prognosen des Umsatzrückgangs die besten Voraussetzungen für ihre Bestätigung verschafft.

Kommunikation als Störung

Dazu passt die Vorstellung einiger Marktteilnehmer, man könnte diese ungeordneten Kommunikationsverhältnisse des Buchhandels versachlichen und kontrollieren. Die Vorstellung, dass man das Buch und den Leser einfach nur an einem neutralen Ort zusammenbringen müsse und dieser dann schon das kaufen wird, was er kaufen will, beherrscht hier das Denken. Alle Zwischenglieder werden danach als Störung, als überflüssige Einmischung und vor allem als Verkaufsverhinderer umdefiniert. Die Branche des Kommunikationsmediums Buch verweigert sich – zumindest in ihren großkalibrigen Teilnehmern – mehr und mehr der Kommunikation. Die Geräuschkulisse des Literaturbetriebs, ob es sich nun um Veranstaltungen, den Bezug des Börsenblatts für Mitarbeiter oder Besuche der Vertreter handelt, wird ausgesperrt und im Verkaufsraum umsurrt den einsamen Kunden lediglich das öde Geräusch der Klimaanlage.

Der Literaturbetrieb in der Bahn, beim Bäcker und im Bett

Der Literaturbetrieb erzeugt eigene Geräusche, die man von dergleichen Nebengeräusche gut unterscheiden kann. Denn worauf es bei der Literatur sei sie nun fiktional oder faktual ankommt, ist die Kommunikation. Was sind Bücher anderes als Kommunikation? Vom ersten Gespräch zwischen Autor und Lektor bis zur Empfehlung unter Freunden nichts als Kommunikation über das was man gelesen hat. Dazwischen liegen Lektorats- und Vertreterkonferenzen, Vorschautexte und Einkaufssitzungen, Vertretergespräche in Buchhandlungen – bis dahin gibt es das Buch weder als gebundenes noch als digitales – schließlich die Verkaufsgespräche in Buchhandlungen und die unzähligen Gespräche in der Bahn, beim Bäcker und im Bett. Vielleicht ist das der Literaturbetrieb? Wenn wir nicht darüber reden, existiert das Buch nicht, weder das gute noch das schlechte Buch, weder der Penner noch der Renner, auch nicht das digitale.

Hier geht es in den Maschinenraum:
http://www.literaturbetrieb.wg.am/reader_literaturbetrieb_einfuehrung.pdf

Hier zu einem von Dezember 2008 stammenden Kurztext zur Literaturbetriebsforschung.