Rainer Maria Rilke. Eine Leseabend mit Michael Schikowski

Lesung zum Rilke-Jahr 2025

Rilkes Gedichte sind vielen ein Leben lang geläufig. Sie wirken bis heute. Die Intensität seiner Prosa strebte die vollkommene Erfassung des Gegenstands an. Der Weg dorthin führte Rilke über das handwerkliche Können, das jede Äußerung, gerade auch die Briefe, einschloss.  Im Brief an einen jungen Dichter nennt er sein Programm: Wie ein erster Mensch zu sagen, was wir sehen und erleben und lieben.

Die Nähe zum Journalismus, zu dem er alle Gaben besaß, fürchtete er. In ihm hätte er ein Auskommen gehabt. (hier zur Lesung des offenen Briefs an Maximilian Harden). Rilke entschied sich für ein prekäres Dasein und wurde vielfach ein Protegé der Reichen. Als Besucher von Tolstoi wurde er diesem lästig, als Sekretär Rodins produktiv. Auch in Worpswede hielt er sich auf, heiratete die Bildhauerin Clare Westhoff, und trennte sich bald darauf.

Neben einigen Gedichten werden vor allem die Prosawerke Rilkes wie die Geschichten vom lieben Gott, der Brief an einen jungen Dichter und die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge im Mittelpunkt dieses Abends stehen.

Mülheimer Literaturclub
Köln-Mülheim, Holsteinstr. 1
Sonntag, 5. Januar 2025
Beginn 18 Uhr

 

Aus: Briefe an einen jungen Dichter von Rainer Maria Rilke:

 

 

 

 

// Immer schön sachlich

// Bücher

Stellen von Nichts

Gianna Molinari
Hier ist noch alles möglich
Roman
Aufbau 2018

Eine Verpackungsfabrik, die fast schon abgewickelt ist. Innen wird sie mittels Überwachungskameras bewacht. Draußen ein Wolf am löchrigen Werkszaun. Stellen von Nichts überall, bei der Verpackung, im Zaun, im Bild der Kamera. Nichts erscheint. Arbeiten wir nicht alle in einer Verpackungsfabrik in der Abwicklung, in der der Chef, der uns eingestellt hat, den Eindruck vermittelt, er könne nicht von ihr lassen. Die literarische Parabel unseres Lebens.

// Bücher

Erleben und verstehen

Daniel Höra
Was wir nicht wollten
Roman
Ueberreuter 2018

In ihrem Gartenprojekt in der reichlich herunter gekommenen Siedlung gehen die Freunde richtig auf. Wie unter Anleitung eines nicht existierenden Sozialprojektleiters findet jeder der fünf, Koko, Betty, Tomi, Scholle und der Erzähler einen Platz in der Gruppe und im Garten.

Gemeinsam bauen sie etwas auf. Bis ein Bagger alles platt macht. Ihre harmlos geplante Rache wächst ihnen über den Kopf, auch weil Heiner plötzlich auftaucht, der immer wieder einmal Nietzsche, den Verführer zur Verachtung, zitiert.

Wie ein Gegengift, ein analytisches allerdings, erläutert der dreizehnjährige Erzähler die Geschichte immer wieder aus dem Fundus der Erkenntnisse der Anthropologin Katje van Ripwinkel, deren Buch über Gruppenverhalten er gelesen hat. Ein seltenes und wunderbares Beispiel für ein Jugendbuch, das die Leistungsfähigkeit von Wissen in Situationen zeigt, die uns überfordern.

Und noch viel mehr, Höra zeigt, dass Lektüren einen Fundus an Erklärungen bereitstellen, die wir erst im Augenblick des Erlebens heranziehen. Hier erklären Texte nicht allein das Erlebte, sondern auch das Erlebte den Text.

Ripwinkel hatte den Jagdinstinkt mal als ‚Befreiung vom Denken‘ bezeichnet. Das hatte ich nie verstanden. Bis eben. Statt dem Kult des bloßen Erlebens zu frönen, durch das sich dann irgendwie alles von selbst versteht, zeigt Höra seinen Helden beim Versuch, die Ereignisse intellektuell zu verarbeiten. Ein grandioses Buch.

// Bücher

Ablösung als Annäherung

Mercedes Lauenstein
Blanca
Roman
Aufbau 2018

Mercedes Lauenstein erzählt in ihrem Roman von Blanca, die an den Ort zurückkehren möchte, an dem sie glücklich war. Zusammen mit ihrer Mutter, die es nie lange irgendwo aushielt, war sie dort zum ersten Mal ein wenig zu Hause, ein wenig verliebt. Die genaue Adresse kennt sie nicht, also macht sich die Fünfzehnjährige allein auf den Weg nach Italien, an die Küste.

Blanca reist an der Linie und über die Linie, die als ungefährlich und normal gilt. Auf ihrem Weg erinnert sie sich an ihre Mutter, ihre Beziehungen, ihre stets neuen Aufbrüche und Abbrüche.

Blanca geht ihren Weg allein, eine Flucht vor ihrer Mutter, die sie nur allzuoft verließ, die wochenlang weg war, und die sie nun ihrerseits verlässt. Verlassen werden und verlassen. Eine kraftvolle Ablösung als unweigerliche Annäherung.