Rainer Maria Rilke. Eine Leseabend mit Michael Schikowski

Lesung zum Rilke-Jahr 2025

Rilkes Gedichte sind vielen ein Leben lang geläufig. Sie wirken bis heute. Die Intensität seiner Prosa strebte die vollkommene Erfassung des Gegenstands an. Der Weg dorthin führte Rilke über das handwerkliche Können, das jede Äußerung, gerade auch die Briefe, einschloss.  Im Brief an einen jungen Dichter nennt er sein Programm: Wie ein erster Mensch zu sagen, was wir sehen und erleben und lieben.

Die Nähe zum Journalismus, zu dem er alle Gaben besaß, fürchtete er. In ihm hätte er ein Auskommen gehabt. (hier zur Lesung des offenen Briefs an Maximilian Harden). Rilke entschied sich für ein prekäres Dasein und wurde vielfach ein Protegé der Reichen. Als Besucher von Tolstoi wurde er diesem lästig, als Sekretär Rodins produktiv. Auch in Worpswede hielt er sich auf, heiratete die Bildhauerin Clare Westhoff, und trennte sich bald darauf.

Neben einigen Gedichten werden vor allem die Prosawerke Rilkes wie die Geschichten vom lieben Gott, der Brief an einen jungen Dichter und die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge im Mittelpunkt dieses Abends stehen.

Mülheimer Literaturclub
Köln-Mülheim, Holsteinstr. 1
Sonntag, 5. Januar 2025
Beginn 18 Uhr

 

Aus: Briefe an einen jungen Dichter von Rainer Maria Rilke:

 

 

 

 

// Immer schön sachlich

// Bücher

Dreierlei Grabreden

Stephanie Cooke
Atom
Die Geschichte des nuklearen Zeitalters
Kiepenheuer & Witsch 2010

Merle Hilbk
Tschernobyl Baby
Wie wir lernten, das Atom zu lieben
Eichborn 2011

Hubert Mania
Kettenreaktion
Die Geschichte der Atombombe
Rowohlt 2010

Stephanie Cooke schreibt eine elegante Gesamtdarstellung unseres nuklearen Zeitalters. Eine Geschichte wie aus einer megalomanen Urzeit.
Merle Hilbk berichtet in ihrer Reportage vom Ort dieses Futurismus vergangener Zeiten. Im April 2011 ist es fünfundzwanzig Jahre her, dass die ohnehin als kaum erquicklich empfundene russische Landschaft unbegehbar wurde.

Eine Landschaft, in die man sich diejenigen wünscht, die atomare Gefahr mit Verkehrsunfällen oder Opfern des Kohleabbaus vergleichen. Ein starkes Buch, wenn auch keines für Frühlingsgefühle.

Zur militärischen Vor- und Begleitgeschichte des Atoms nur noch der Hinweis auf das großartige Buch von Hubert Mania.

// Bücher

Wahnspiele

Andy Hahnemann
Texturen des Globalen
Geopolitik und populäre Literatur in der Zwischenkriegszeit 1918 – 1939
Universitätsverlag Winter 2010

In den allgemein gebräuchlichen Bezeichnungen wie der ‚geistigen Brandstiftern‘ und ‚irregeleiteter Wirrköpfe‘ drückt sich das Spannungsverhältnis von Geist und Tat aus. Wie eine Gesellschaft Geist und Tat ineinander vermittelt, lässt sich an ihren populären Kommunikationsmedien besonders gut zeigen.

Andy Hahnemanns Dissertation, hervorgegangen aus dem Forschungsprojekt um Erhard Schütz (Berlin)und Stephan Porombka (Hildesheim), zeigt diese Verflechtung von Geist und Tat als die Texturen des Globalen genau und ausgezeichnet lesbar.

Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen die geopolitischen und geostrategischen Bücher von Anton Zischka, Ivar Lissner, Hans Dominik, Walther Pahl, Colin Ross, Margret Boveri, A. E. Johann, Paul Schmitz-Kairo und Eugen Diesel. Eine Literatur, die höchst voraussetzungsreich ist. Aus zwei Gründen.

Einerseits ist sie nur in Kenntnis der nahezu tagespolitischen Zusammenhänge der Zeit von 1918 bis 1939 zu verstehen. Diese Zusammenhänge betreffen nicht allein Erdkundliches, sondern auch Wirtschaft und Politik, sie werden von Hahnemann nicht eigens beschrieben, gleichwohl bilden sie eine wichtige Voraussetzung. Dabei ergeben sich andererseits Begriffe wie Interessens- und Einflusssphären, die höchst unscharf sind und sowohl als irreale Phantasma erscheinen, sich aber zugleich als konkrete politische Handlungsanweisung auswirken können.


Ein Prospekt wahrer „Goldstücke“

Unter der Überschrift Globalisierung ist das neuerliche Interesse an diesen Zusammenhängen unübersehbar. So lässt sich Andy Hahnemann auch darauf hin ertragreich lesen, was man mit geopolitischen Argumentationen an Aufmerksamkeitsteuerung, zum Beispiel mit der Wendung von Peter Struck, als der „Verteidigung Deutschlands am Hindukusch“ , bewerkstelligen kann.

Zugleich offenbart sich in diesen Texten eine komplexe Struktur von furchterregender Allmachtsphantasie, der Landgewinnung im Mittelmeer (Hermann Sörgel) und Überschwemmungsangst durch China, begrifflich verdichtet als ‚gelbe Gefahr‘. Hier wäre damit reichlich Material für eine Fortsetzung der Männerphantasien, die Klaus Theweleit 1977 veröffentlichte.

Die älteren Leser dieses Buches werden gar – wie der Rezensent – sich daran erinnert fühlen, was an Sprachmustern und Welterklärungspartikeln im gedanklichen Hausrat der Großeltern sich davon fand. Andy Hahnemann erschließt uns hier die Quellen dieser Vorstellungen.

Weitere Aufgaben

Diese Arbeit ist grundlegend. Welche Anschlüsse an sie sind denkbar? Der Vorschlag von Stefan Hermes in seiner Besprechung Vom Kampf der Kontinente für literaturkritik.de, den Lichtkegel auf Fiktion auszuweiten, führt nur zu der üblichen Selbstnobilitierung über Namen, die im Kindler eine Rolle spielen und die Hermes auch prompt alle nennt. Dass Andy Hahnemann selbst genau dieser Verlockung widersteht, ist beispielhaft.

Interessanter erscheint also die Parzellierung des Konvoluts nach Einzeluntersuchungen. Dazu gehört die Geschichte populärer Wortprägungen, die Rezeption durch gewaltgeprägte Männerbünde und die Verfolgung so unterschiedlich verlaufender Karrieren wie die von Colin Ross, der sich 1945 erschießt, und die von Ivar Lissner, der nach dem Krieg Chefredakteur der Zeitschrift Kristall wird.

Realitätseffekte

Der Mechanismus von Geist und Tat zeitigt Phänomene, die man nur in genauer Analyse erschließt. Diese setzt weniger Ideologiekritik voraus, als eigentliche Lektüre. Dabei kann Andy Hahnemann die verblüffende Feststellung machen, dass in dem Augenblick, als die Nationalsozialisten ihre geopolitischen Vorstellungen in die Tat umzusetzen begannen, die Autoren zunehmend sachlicher und realistischer wurden. „Sind die 20er Jahre von einem oft ins Fantstaische gehenden Überschwang gekennzeichnet, findet in den 30er Jahren eine sichtbare Versachlichung statt“, schreibt Hahnemann.

Andy Hahemann hat mit den Texturen des Globalen einen Textkorpus erschlossen, in dem Geist und Tat ein unentwirrbares Geflecht ergeben, das in seiner Rhetorik der Selbstimmunisierung scheitert: „Interessiert ist diese Ästhetik stets nur an Phänomenen der Konzentrationen, der Marschrichtungen und Homogenisierungen; alles andere erscheint als vernachlässigbar und gilt als überflüssig.“ Die Katastrophe, als die Weltgeschichte angesehen wird, wird erzeugt.

// Bücher

Wie Wirklichkeit wird

Tobias Endler
After 9/11
Leading Political Thinkers about the World, the U.S. and Themselves
17 Conversations
Verlag Barbara Budrich 2011

Die Realität der Ereignisse lässt sich nur schwer fassen. Das Ereignis selbst ist längst verschwunden und wird allein noch in Bildern und über die Reaktionen der Zeitgenossen deutlich. Aber Zeitgenossenschaft ist auch kein zuverlässiger Anzeiger der Bedeutung der Ereignisse. Unlängst tauchte ein bislang ungezeigtes Bild auf, während im Hintergrund die Gebäude der Weltbank brennen, sitzen vorne junge Leute, die sich entspannt in der Sonne unterhalten. Das Ereignis hat sie noch nicht erreicht, weil sie die Bedeutung nicht sahen. Dieser Widerspruch verstört den Betrachter noch heute, er sieht verboten aus und das Bild blieb lange ungezeigt.

Daran lässt sich immerhin lernen, dass Ereignisse, auch wenn man sie selbst miterlebt hat, ohne Bedeutung gar nicht wahrgenommen werden können. Ihre Bedeutung zu verstehen, ist aber kein Privileg der Zeitgenossenschaft.

Wie lässt sich die Realität der Ereignisse fassen? Tobias Endler versichert sich ihrer in den Reflexionen bedeutender Intellektueller und veröffentlicht eine Gesprächssammlung mit einigen der wichtigsten US-amerikanischen Denker, die sich zum 11. September und seinen Folgen, Amerikas Rolle in der Welt, zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der amerikanischen Demokratie, der Rolle der Medien äußern – ein Mosaik der gegenwärtigen Gesellschaft. Zu den wichtigsten Gesprächspartnern gehören u.a. Anne-Marie Slaughter, Zbigniew Brzezinski, Noam Chomsky, Francis Fukuyama, Howard Zinn, Michael Walzer, Cornel West, Benjamin Barber, Nancy Soderberg und John Bolton.