Rainer Maria Rilke. Eine Leseabend mit Michael Schikowski

Lesung zum Rilke-Jahr 2025

Rilkes Gedichte sind vielen ein Leben lang geläufig. Sie wirken bis heute. Die Intensität seiner Prosa strebte die vollkommene Erfassung des Gegenstands an. Der Weg dorthin führte Rilke über das handwerkliche Können, das jede Äußerung, gerade auch die Briefe, einschloss.  Im Brief an einen jungen Dichter nennt er sein Programm: Wie ein erster Mensch zu sagen, was wir sehen und erleben und lieben.

Die Nähe zum Journalismus, zu dem er alle Gaben besaß, fürchtete er. In ihm hätte er ein Auskommen gehabt. (hier zur Lesung des offenen Briefs an Maximilian Harden). Rilke entschied sich für ein prekäres Dasein und wurde vielfach ein Protegé der Reichen. Als Besucher von Tolstoi wurde er diesem lästig, als Sekretär Rodins produktiv. Auch in Worpswede hielt er sich auf, heiratete die Bildhauerin Clare Westhoff, und trennte sich bald darauf.

Neben einigen Gedichten werden vor allem die Prosawerke Rilkes wie die Geschichten vom lieben Gott, der Brief an einen jungen Dichter und die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge im Mittelpunkt dieses Abends stehen.

Mülheimer Literaturclub
Köln-Mülheim, Holsteinstr. 1
Sonntag, 5. Januar 2025
Beginn 18 Uhr

 

Aus: Briefe an einen jungen Dichter von Rainer Maria Rilke:

 

 

 

 

// Immer schön sachlich

// Bücher

Subjektivismus und Klischeetradierung

Nigel Rodgers/Mel Thompson
Philosophen wie wir. Große Denker menschlich betrachtet
Rogner & Bernhard 2007

Ludwig Marcuse
Meine Geschichte der Philosophie. Aus den Papieren eines bejahrten Philosophiestudenten
Neuauflage, Diogenes 2007

Der Text „Philosophen wie wir“ setzt mit einem emphatischen Bekenntnis zum Subjektivismus recht unterhaltsam ein. Er verspricht „gewissenhafte Voreingenommenheit“ und „hochgradig subjektive Auswahl des Materials“. Wirft man einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis, zeigt sich dagegen ein Bild, wie man es dutzendweise zu sehen bekommt: hier werden alle Säulenheiligen, die als Anekdotenlieferanten altbekannt sind, aufgefahren. Man setzt mit Rousseaus Findelkindern ein, geht über Nietzsches Pferdeumarmung weiter zu Wittgensteins Feuerhaken und landet zu guter Letzt in Foucaults kalifornischen SM-Klubs. Man hat es hier also mit dem genauen Gegensatz von Subjektivismus zu tun, nämlich der unbesehenen Tradierung von verfestigten Klischees. Nachweisbar wird diese unbesehene Übernahme anhand der Literaturliste. So stützt man sich im Fall von Foucault fast nur (!) auf die mehr als umstrittene Biografie von James Miller, die erwiesenermaßen auch Falsches kolportiert und begnügt sich damit, deren Anekdoten in exzerpierter Form wiederzugeben.

Ernst zu nehmender Subjektivismus liefert dagegen einen Mehrwert an Erkenntnis, zum Beispiel wenn die subjektive Betrachtungsweise dazu führt, dass zu bestimmten Problemen eine neue Perspektive eingenommen wird oder dass verschiedene Probleme in neuer Weise in Beziehung gesetzt werden usw. Wer solch eine ebenso unterhaltsam subjektive wie erhellende Philosophiegeschichte lesen möchte, der greife zu Heines „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“, zu Russells „Philosophie des Abendlandes“ oder zum seit kurzem wieder lieferbaren Text „Meine Geschichte der Philosophie. Aus den Papieren eines bejahrten Philosophiestudenten“ von Ludwig Marcuse.

Was Rodgers und Thompson versprechen, hält Marcuse. Noch mehr: im Eingangskapitel liefert er eine Rechtfertigung subjektiver Darstellung, die als Diskussionsgrundlage im besten Sinne gelten kann. Sein Subjektivismus zeigt sich sowohl in der Auswahl der Texte („Wer Philosophen studiert, um in seinem Philosophieren weiterzukommen, wird verweilen oder schneller weitergehen – gemäß seinem Bedürfnis; ich hielt mich länger bei dem ‚byzantinischen Aristoteles‘, Psellus, auf als bei dem griechischen.“) wodurch man viele neue und durchaus erhellende Bezüge außerhalb des Kanons kennen lernt, als auch in der Art der Darstellung, vor allem im Mut zu Werturteilen, den man in dieser erfrischenden Form bereits von Russell kennt: „Dies Auf-sich-Verweisen ist nicht die einzige Art, zu lehren … aber, wie mir scheint, die lebendigste. […] Wo sie ursprünglich ist, ist Philosophie lebensnotwendig. Leben und Philosophieren ist nicht zweierlei … nicht einmal bei Philosophie-Professoren.“.

Der Text von Marcuse stellt sich gewissermaßen in die Tradition, die er mit dem „antiken Existentialismus“ beginnen lässt: die Philosophie im Dienst der Lebenskunst. Lebenskunst ist eine langsam in den Kanon der akademischen Philosophie eindringende Teildisziplin, die ihr universitäres Ansehen hauptsächlich der Autorität Foucaults verdankt, unbeschadet ihrer Zweitverwertung durch Wilhelm Schmid.

// Bücher

Der Flusskrieg

Winston S. Churchill
Kreuzzug gegen das Reich des Mahdi
Eichborn 2008

Nun muss man Sachbücher, die es ohnehin nicht leicht haben, auch noch – einfach weil man sie gelesen hat – gegen ihre eigenen Titel verteidigen. Das lohnt sich bei Churchills wunderbarem Buch, denn die hier notwendigerweise vorgenommene Richtigstellung erkärt die Betrachtungsweise Churchills am besten. Churchill schreibt an einer Stelle: „Der General, der militärische Operationen plant, der Staatsmann, der schwerwiegende Entscheidungen fällt, und der Leser, der den Fortgang und die Resultate von beidem zu begreifen wünscht, hat sich über den Nil Gedanken zu machen. Er ist das Leben der Landstriche, durch die er fließt. Er ist der Kriegsgrund und das Mittel, mit dem wir kämpfen, und auch das Kriegsziel, das unser Handeln bestimmt. Auf jeder Seite des Buchs hat unsere Vorstellungskraft den Lauf des Flusses nachzuzeichnen. Bei jedem Gefecht glitzert er zwischen den Palmen. (…) Ohne den Fluß hätte sich keiner auf den Weg gemacht. Keiner wäre ohne ihn weitergekommen und keiner ohne ihn zurückgekehrt“

Keinem, außer einem deutschen – nebenbei verehrten – Verlag gelingt es, ein Buch so sehr gegen den Autor und Geist der Publikation zu titeln. Aber nicht nur der Kampf um Ressourcen, hier dem Wasser, bildet die eigentliche Grundlage der Perspektive Churchills, der sein Buch darum im Haupttitel The River War nannte, auch mit dem „Kreuzzug“ im deutschen Titel und mit dem Verlagstext auf dem Schuber, wird das Buch geradezu verkehrt. Dahinter mag der Versuch stecken, eine Veröffentlichung über Längstvergangenes mit aktuellen Fragen aufzufrischen. Als traue man dem Buch nicht. Dabei hätten die aktuellen Fragen zu Dafur und die politischen Fragen zum Sudan als interessante Bezugsgröße absolut ausgereicht. Statt dessen schreibt man auf dem Schuber: „Im Aufstand des Mahdi zeigt der Islam erstmals das moderne Gesicht einer radikalen politischen Kraft: des militanten Fundamentalismus, wie wir ihn heute zu kennen glauben.“

Churchill schreibt genau gegen diese Behauptung: „So wurde freiweg behauptet – und von manchen Zeitgenossen wird das noch immer geglaubt -, der Aufstand im Sudan sei zur Gänze eine religiöse Angelegenheit gewesen. Wenn die ärgsten Unwahrheiten diejenigen sind, an denen ein Schein von Wahrheit ist, dann ist diese Ansicht in der Tat grundfalsch. Dagegen könnte es durchaus als historische Tatsache gelten, daß keine Revolte einer großen Volksmasse jemals ausschließlich oder auch nur hauptsächlich durch religiösen Eifer ausgelöst worden ist.“ So hätte es doch absolut ausgereicht, wenn man schon ein Buch, das hier nun erstmals auf Deutsch vorliegt, aufzufrischen trachtete, es in Bezug zu setzten zu den von vielen neueren Sachbüchern beschriebenen Folgen des Klimawandels, zu dem auch der Krieg um das Wasser gehört. Das Bild vom religösen Eiferer aber, auf das der knapp vierundzwanzig Jahre alte Chrurchill sich weigert hereinzufallen, besitzt bis heute einen paradoxen „Schein von Wahrheit“ in der „ärgsten Unwahrheit“, dessen man sich offensichtlich bis heute nicht zu entschlagen weiß.

// Bücher

Die Autorität altehrwürdiger Akademiker

Richard Rorty
Philosophie als Kulturpolitik
Suhrkamp 2008

Es gibt eine wunderbare akademische Textgattung, die die üblichen Regeln wissenschaftlichen Schreibens in dieser Form nicht einhalten muss, und deshalb in der Lage ist, den Akademikern in unterhaltsamer und bisweilen eindringlicher Weise ihre Eigentümlichkeiten und vermeintlichen Verfehlungen vorzuhalten. Ich spreche von den Essays altehrwürdiger akademischer Autoritäten. » weiter lesen