Rainer Maria Rilke. Eine Leseabend mit Michael Schikowski

Lesung zum Rilke-Jahr 2025

Rilkes Gedichte sind vielen ein Leben lang geläufig. Sie wirken bis heute. Die Intensität seiner Prosa strebte die vollkommene Erfassung des Gegenstands an. Der Weg dorthin führte Rilke über das handwerkliche Können, das jede Äußerung, gerade auch die Briefe, einschloss.  Im Brief an einen jungen Dichter nennt er sein Programm: Wie ein erster Mensch zu sagen, was wir sehen und erleben und lieben.

Die Nähe zum Journalismus, zu dem er alle Gaben besaß, fürchtete er. In ihm hätte er ein Auskommen gehabt. (hier zur Lesung des offenen Briefs an Maximilian Harden). Rilke entschied sich für ein prekäres Dasein und wurde vielfach ein Protegé der Reichen. Als Besucher von Tolstoi wurde er diesem lästig, als Sekretär Rodins produktiv. Auch in Worpswede hielt er sich auf, heiratete die Bildhauerin Clare Westhoff, und trennte sich bald darauf.

Neben einigen Gedichten werden vor allem die Prosawerke Rilkes wie die Geschichten vom lieben Gott, der Brief an einen jungen Dichter und die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge im Mittelpunkt dieses Abends stehen.

Mülheimer Literaturclub
Köln-Mülheim, Holsteinstr. 1
Sonntag, 5. Januar 2025
Beginn 18 Uhr

 

Aus: Briefe an einen jungen Dichter von Rainer Maria Rilke:

 

 

 

 

// Immer schön sachlich

// Bücher

Frisierte Lackaffen

.
.
.
.
.
.
.
.

Joachim Bauer
Das kooperative Gen
Hoffmann und Campe 2008

Dieter Hattrup
Darwins Zufall oder wie Gott die Welt erschuf
Herder 2008

Frans de Waal
Primaten und Philosophen
Hanser 2008

Ich hatte vor einiger Zeit das zweifelhafte Vergnügen, mit jemanden in eine Diskussion zu geraten, der sich offensichtlich an dem Buch von Richard Dawkins Das egoistische Gen überfressen hatte und in aller Welt nur die Durchsetzungskraft der Gene behauptete und wahrnahm. Das war ungemütlich, denn mein Gegenüber war nicht bereit, darin die alte Tautologie zu erkennen: der Tüchtigste überlebt und wer überlebt ist der Tüchtigste. Nun von Dawkins reformuliert: die vererbten Gene sind die Gene, die egoistisch sind und die egoistischen Gene sind die, die vererbt werden. Das mit den Genen wird da ja irgendwie als substanzielle auf nichts anderes selbst rückführbare Wahrheit genommen und gewinnt dadurch etwas fast Religiöses. Schlimmer noch, ich konnte nicht Joachim Bauer, den Autor der hilfreichen Handreichung Das kooperative Gen hinter einem Vorhang hervorziehen und ihn kompetent erklären lassen, dass genetische Informationen nicht nur zwischen Individuen derselben Arten gemischt werden, sondern dass das Erbmaterial auch über die Artgrenzen hinweg erworben werden kann. Ein Genom kann sich selbst verändern. In den Diskussionen, die Sie führen müssen, wissen Sie nun was hilft!

Nach Hattrup hat Darwin mit der Evolutionstheorie den Zufall in die Naturwissenschaft eingeführt, insofern in der Entwicklung der Arten zufällige Varietäten entstehen. Im Wissen aber gibt es nur Gesetz und Notwendigkeit. Den Zufall aber kennzeichnet Nichtwissen. Hattrup ist Physiker, darum geht sein Buch auch auf die Rolle des Zufalls in der Quantenphysik ein. Der Zufall öffnet die geschlossene Welt der Notwendigkeit einen Spalt breit und lässt das Licht einer anderen Wirklichkeit ein, die die Evolution in Schöpfung zurückverwandelt.

Mit Frans de Waal nähern wir uns gegenwärtigen Auffassungen einer neuen Wissenschaft von der Natur, in der Tier und Mensch als fühlende, sich gegenseitig erfassende Wesen Platz haben. Dieses Erfassen illustriert die Geschichte von Frans de Waal am besten, nach der er ein Bonoboweibchen dabei beobachtete, wie es ein Vögelchen, das hilflos am Boden lag, aufnahm und wieder fliegen ließ. De Waal bezeichnet Konrad Lorenz und Richard Dawkins Ideen als „Fassadentheorie“, nach der Moral nur ein kultureller Lack sei und die Menschen nichts weiter als frisierte Lackaffen. Eine Vorstellung latenter Aggression, die der Hypochonder Nietzsche besonders anschaulich beschrieben hat, indem er den Menschen als auf dem Rücken eines Tigers in Träumen hängend definierte. Das ist Literatur. Dagegen stellt der Empiriker de Waal Tatsachen unter den Primaten fest wie reziproken Altruismus und emotionale Ansteckung . Dabei kann er sich auf die Vorarbeit von zwei ganz Großen der Primatenforschung berufen: Jane Goodall und Dian Fossey.

// Bücher

Wann kommt der Potter-Effekt? – neue Jugendsachbücher


.
.

.
.
.
.

Vor dem Bücherregal eines sportbegeisterten Dreizehnjährigen und insgesamt mittelmäßigen Schülers fand ich links die Lustigen Taschenbücher (leider ungeordnet, sodass ich meinen Lieblingsband nicht finden konnte) und rechts zahlreiche Schwarten des Genres Fantasy aus den Verlagen Piper und Heyne.

Gut, der Potter-Effekt hat in der Tat zahlreiche Jugendliche dazu befähigt, umfangreiche Bücher in einer Lesegeschwindigkeit zu bewältigen, die keine Langeweile aufkommen lässt. Bleibt zu hoffen, dass diese Proselyten des Lesens auch noch zum Sachbuch kommen. Halten die Verlage die richtigen Bücher bereit?

Über Tier und Mensch haben sich Darwin und Cecile Robelin Gedanken gemacht. Aysegül Acevit und Cem Özdemir schreiben für die zweite und dritte Generation der türkischen Migranten. Dieter Bartetzko und Reinhard Osteroth widmen sich der Technik und Erfindern. Ulrich Woelk guckt mit Tochter Stella in den Nachthimmel.

Aysegül Acevit, Zu Hause in Almanya, Campus 2008
Dieter Bartetzko, Türme, S. Fischer 2008
Mosbrugger, Darwin für Kinder und Erwachsene, Insel 2008
Cecile Robelin, Was ist der Mensch? Campus 2008
Cem Özdemir, Die Türkei, Beltz 2008
Ulrich Woelk, Sternenklar, Dumont 2008
Reinhard Osteroth, Erfinderwelten, Rowohlt 2008

// Bücher

Ein fiktionales Sachbuch

Rohan Kriwaczek
Eine unvollständige Geschichte der Begräbnisvioline
Eichborn 2008

Die ältesten Zeugnisse der Kultur stammen in der Regel aus Grabstätten. So sind Bestattungsriten vielleicht die ältesten und ersten Zeugnisse des Übergangs des Menschen von der Natur zur Kultur. Kurz darauf fand sich auch der erste Experte gewerblicher Eingrabungsarbeiten ein, der Bestatter, dem dann nur wenige tausend Jahre später der Experte für die Umkehrung folgte, der Archäologe. Zur Beerdigung gehörte schon früh semiprofessionelles Musizieren am Sarg, im Altertum die Flöte, im Mittelalter der Gesang und bald nach ihrer Einführung im Barock die Violine.

In Rohan Kriwaczeks Buch Eine unvollständige Geschichte der Begräbnisvioline wird nun die Kulturgeschichte der Begräbnisviolinenmusik, der Begräbnisviolinenkompositionen und der Begräbnisviolinenmusiker erzählt. Ein Buch, das in ebenso ernsthafter wie komplett erfundener Weise ein vernachlässigtes Kapitel unserer Kulturgeschichte präsentiert. Da es für alles bereits Experten gibt – selbst für Ein- und Ausbuddeln – hat sich Kriwaczek sein Gebiet, auf dem er sich als unbestrittener Experte präsentieren kann, kurzerhand selbst erfunden. Damit haben wir hier das seltene Beispiel eines fiktionalen Sachbuchs. Um die Faktizität des Fiktionalen komplett zu machen, präsentiert der Autor dessen Anblick allein schon einen den Schreck in die Glieder fahren lässt, im Internet Hörproben, die den am Sarg Trauernden dem Toten bald nachfolgen lassen. Hier der Link zum Spuk.