Literarische Sachbücher

Formen – Funktionen – Praktiken

Organisation: Christian Meierhofer (Karlsruhe/Bonn), Gunther Nickel (Darmstadt), Michael Schikowski (Köln)

Workshop von Non Fiktion in Verbindung mit dem Deutschen Literaturfonds
Bonn, 14. und 15. September 2023

// Sachbuchforschung

Buchkultur – Objekte, Institutionen, Praxen

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
WiSe 2017
4. Blockseminar
Dozent: Michael Schikowski

Dieses Seminar erläutert das Buch als gestalteten Gegenstand der Alltagskultur. Außerdem werden die das Buch verbreitenden Institutionen wie Verlage, Zwischenbuchhandel und Buchhandel erklärt und erläutert. Mit dem Buch sind eine ganze Reihe sozialer Praxen des Rückzugs, des öffentlichen Vortrags und der Aufbewahrung verbunden. Das Seminar versteht sich als Praxisseminar, das die Studierenden in die Lage versetzt, den gesamten Kulturbetrieb rund ums Buch zu verstehen.

Über die rasanten Veränderungen der Buchkultur im Umfeld der sich immer mehr durchsetzenden Digitalkultur herrscht Einigkeit. Damit gehen auch wichtige vormals als selbstverständlich erachtete Institutionen und Praxen verloren. Für eine zukünftige Germanistik des Zeitraums 1800 – 2000 wird es daher immer schwieriger, Texte als Bücher und Bücher als Objekte von Bibliotheken und Buchhandlungen nachzuvollziehen. Die Fülle der damit verbundenen sozialen Praxen mit ihrem erheblichen Einfluss auf den Literaturbetrieb geraten in Vergessenheit.

Seminargrundlage ist: Michael Schikowski: Im Buchhaus. Wohnzimmer, Bücherei, Buchhandlung. Bramann Verlag: Frankfurt 2017 (ISBN 978-3-934054-85-1) € 10,00.


Bölls Arbeitszimmer (Ausgestellt in der Kölner Stadtbibliothek)

In diesem Seminar bilden außerdem die Texte, die Heinrich Böll zur Buchkultur der BRD veröffentlichte, die Diskussionsgrundlage: Heinrich Böll: Werke. Kölner Ausgabe. Hrsg. von Árpád Benáth, Hans Joachim Bernhard, Robert C. Conrad, Frank Kinlay, J.H. Reid, Ralf Schnell, Jochen Schubert. Köln 2002 ff.

Das Selbstporträt Heinrich Böll (1951) Bd.5,
Der Klappentext, Bekenntnis zur Trümmerliteratur (1952), Gibt es die deutsche Story? (1953) Bd.6,
Der Schrei nach Schinken und Pralinen (1953), Selbstvorstellung (1953), Wir sind nicht restaurativ (1953) Bd.7,
Der Zeitgenosse und die Wirklichkeit (1954), Die fünf Stationen des jungen Schriftstellers, Doktor Murkes gesammeltes Schweigen Bd. 9,
Das Risiko des Schreibens (1956), Vorsicht! Bücher! (1959) Bd. 10,
Bücher verändern die Welt (1959), Verteidigung der Waschküchen (1959), Über den Roman (1960), Der Schriftsteller und der Wohlfahrtsstaat Bd. 12,
Frankfurter Vorlesungen (1964) Bd. 14,
Die Freiheit der Kunst (1966), Joseph Caspar Witsch (1967), Über die Gegenstände der Kunst (1968) Bd. 15,
Ende der Bescheidenheit, Schriftstellerschule der Nation Bd. 16,
Rede zur Verleihung des Nobelpreises (1972), Versuch über die Vernunft der Poesie Bd. 18,
Lesen macht rebellisch Bd. 20,
Was soll aus dem Jungen bloß werden Bd. 21,
Verdächtig vertraut (1981) Bd. 22,
Wir dickfellig-dünnhäutigen Dulder (1985), Nachwort zu „Ansichten eines Clowns“ (1985) Bd. 23

 

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Quellen für einen Sachbuchkanon

Bücher, die das Jahrhundert bewegten. Zeitanalysen – wiedergelesen. Herausgegeben von Günther Rühle. Piper, München 1978.

Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Deutschsprachige Sachliteratur. Hrsg. v. Rudolf Radler. München/Zürich: Kindler 1978.

Bibliothek der 100 Sachbücher. Herausgegeben von Fritz J. Raddatz. 1982.

Eberhard Rathgeb: Die engagierte Nation. Deutsche Debatten 1945-2005. Hanser, München 2005.

Klassiker der Sachliteratur. Eine Anthologie vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert Non Fiktion. Arsenal der anderen Gattungen. Herausgegeben von Christian Meierhofer, Michael Schikowski und Ute Schneider. 10. Jahrgang 2015, 1. und 2. Heft.

Wer Schreibzeug hat, hat noch nicht das Zeug zum Schreiben – die richtige Haltung für Ratgeber- und Sachbuchautoren

von Oliver Gorus

Die Haltung des Ratgeberautors

Helfen und beraten – Der Ratgeberautor ist ein Helfer. Was auch immer sein Thema sein mag – er möchte seinen Lesern dabei helfen, eine Situation zu bewältigen, sich neue Fähigkeiten anzueignen und Fehler zu vermeiden. Ratgeber haben immer etwas Pädagogisches, und wem es so gar nicht liegt, andere Menschen anzuleiten und zu unterstützen, ist hier im falschen Genre. Tatsächlich scheitern unerfahrene Ratgeberautoren häufig daran, dass sie lediglich ihr Wissen ausbreiten, aber es nicht verstehen, dem Leser ganz konkret und in einzelnen Schritten aufzuzeigen, wie etwas nun wirklich geht. Der Ratgeberautor muss beim Schreiben am nächsten bei seinem Leser sein, immer auf Augenhöhe. Und er sollte sich in seiner Rolle als Helfer und Berater wohl fühlen und nicht befangen sein. Diese Tugenden machen einen guten Ratgeberautor aus:

Schreibartikel oder „Schreib Artikel“.

Tugenden des Ratgeberautors

Glaubwürdigkeit – „Kennen Sie einen Wegweiser, der selber in die Richtung geht, die er anzeigt?“ Diese ironische Bemerkung des Philosophen Max Scheler spießt eine leider verbreitete Schwäche von Beratern und Ratgebern auf. Wer ist mir nicht schon alles begegnet! Der Projektmanagement-Experte, der seine Termine verschwitzt und sich verzettelt. Die Etikette-Trainerin, die sich wie die Axt im Walde benimmt. Der umwelt- und klimapolitische Vordenker, der täglich 40 Kilometer mit dem Auto zwischen Eigenheim und Büro zurücklegt. Papier ist geduldig – aber als Autor sind Sie Teil Ihres Buches. Authentische Ratgeberautoren empfehlen anderen nur das, was sie selbst tun oder zu tun bereit sind. Sie sind kein bloßer Wegweiser, sondern gehen in die richtige Richtung selber voran.

Einfühlungsvermögen – Ratgeberautoren haben es stets mit „Betroffenen“ als Leser zu tun. Das heißt, der Leser möchte in einer ganz bestimmten Situation wissen, wie man etwas macht – sei es Rückenschmerzen bekämpfen, Geld Gewinn bringend anlegen oder indonesisch kochen. Je besser sich der Ratgeberautor – auch emotional – in die Situation seines Lesers hineinversetzen kann, desto mehr wird er bei ihm positiv bewirken. Erfolgreiche Ratgeberautoren überlegen beim Schreiben ganz genau, was der Leser im nächsten Schritt braucht und wie er am besten erreichbar ist.

Humor – Es ist nicht immer einfach, etwas besser zu wissen und anderen den Weg zu weisen. Das hat mit Beeinflussung zu tun – wo wir doch alle freie und verantwortliche Individuen sind, die souverän entscheiden möchten. Gegen die Skrupel, anderen immer sagen zu müssen, wo es langgeht, hilft eine gute Portion Humor. Beliebt sind Ratgeberautoren, die sich selbst nicht ganz so ernst nehmen, zu ihren eigenen Schwächen und Niederlagen stehen und all die Probleme, zu deren Lösung sie beitragen wollen, auch einmal augenzwinkernd betrachten können. Alles halb so wild, denken sie oft beim Schreiben, und ihre Gelassenheit überträgt sich dann wie von selbst auf die Leser, die bei ihnen Rat suchen.

Die Haltung des Sachbuchautors

Unterhalten und Impulse geben – Der Sachbuchautor ist intelligenter Unterhalter, Spiegel des Zeitgeistes, gesellschaftlicher Impulsgeber. Worüber auch immer er schreibt – es soll viele Menschen interessieren, neugierig machen, anregen oder auch aufregen. Sachbuchautoren haben eine gesunde Portion Geltungsdrang. Wer mit seinen Büchern nicht groß herauskommen möchte, wer nicht interviewt werden und sich in öffentliche Debatten einmischen will, sollte lieber Fachbücher oder Ratgeber schreiben. In der Haltung der Stars unter den Sachbuchautoren findet sich auch immer ein Schuss Künstlertum – von Habitus und Auftreten her haben sie gewisse Ähnlichkeiten mit Belletristikautoren, Schauspielern oder Regisseuren. Und beim Schreiben kommen bei ihnen tatsächlich die entsprechenden Talente zum Einsatz: literarisches Gespür, die Fähigkeit zur Selbstdarstellung und die Kunst, ein Thema effektvoll zu inszenieren. Das sind die wichtigsten Tugenden eines Sachbuchautors:

Mit etwas Glück bekommt jeder Autor den Blick fürs Wesentliche.

Tugenden des Sachbuchautors

Begeisterung – Wer von einem Thema nicht wirklich fasziniert ist, sollte darüber auch kein Sachbuch schreiben. Hingegen spürt jeder Leser, ob der Autor beim Schreiben begeistert bei der Sache war – und diese Begeisterung überträgt sich dann oft ganz automatisch. Mit seiner Leidenschaft für ein Thema ist der Sachbuchautor für viele Leser ein bewundertes Vorbild. Denn ganz in einer Sache aufgehen, die man sich selbst ausgesucht hat – das möchten fast alle Menschen gern. Den Sachbuchautor begeistert aber nicht nur sein Thema, sondern auch der Umgang mit Sprache, ja das Bücherschreiben an sich. Und das ist eine der Voraussetzungen für seinen Erfolg.

Authentizität – Der Sachbuchautor gibt beim Schreiben relativ viel von seiner Persönlichkeit preis. Ist die persönliche Färbung beim Ratgeber gefährlich (die Verlage sind bei Erfahrungsberichten sofort skeptisch), so ist sie beim Sachbuch erlaubt und erwünscht. Dazu muss der Sachbuchautor eine bejahende Haltung einnehmen. Er kann sich nicht wie ein altmodischer Wissenschaftler hinter seinem Thema verstecken. Er sollte vielmehr jederzeit bereit sein, etwas Persönliches von sich durchscheinen zu lassen und Farbe zu bekennen – was mit dem Risiko verbunden ist, von einigen abgelehnt zu werden. Je authentischer ein Sachbuchautor sich gibt, je einmaliger seine Persönlichkeit ist und je charakteristischer der Ton, den er in seinen Büchern anschlägt, desto größer sind seine Marktchancen.

Thesen finden überall eine Fläche und daher braucht nicht jede immer schon ein ganzes Buch.

Trendbewusstsein – Sachbücher sind zum großen Teil aktuelle und schnelllebige Bücher. Ein Sachbuchautor muss spüren, was viele Menschen bewegt, was die Gesellschaft umtreibt. Idealerweise erkennt er sogar, was die Menschen nicht jetzt, sondern in einem oder zwei Jahren (also nach Erscheinen seines Buches) am meisten beschäftigen wird. Wer im Elfenbeinturm um seine Spezialthemen kreisen möchte, sollte sich nicht als Sachbuchautor versuchen. Zum Trendbewusstsein gehört auch ein Gespür für Stilfragen. Auf welche Art und Weise tauschen sich Menschen heute aus, welche Reizwörter kursieren, mit welcher Mode wird gerade geliebäugelt? (Selbst wer sich bewusst dagegen stellen will, muss darüber Bescheid wissen.) Sachbuchautoren sind nah am Zeitgeist. Über ein und dasselbe Thema hätten sie vor zehn Jahren anders geschrieben und würden es zehn Jahre weiter wieder anders anpacken.

Egal, ob Sachbuch, Fachbuch oder Ratgeber: Stets prägt es die Haltung des wahren Autors, in einen Dialog mit seinem Leser treten zu wollen. An seinem Schreibtisch und vor seinem Computer mag der Autor allein sein – aber er weiß, für wen er schreibt und ihm ist beim Schreiben bewusst, dass er bei einem Gegenüber etwas auslösen wird. Es ist ein zeitverzögerter Dialog, aber nichtsdestotrotz findet er statt. Der Autor kann ihn in Gedanken vorwegnehmen und die möglichen Reaktionen seines Lesers durchspielen. Je nach Genre mag er sich den Dialog mit dem Leser wie ein Kolloquium, wie ein Beratungsgespräch oder wie eine hitzige Talkshow vorstellen – doch in jedem Fall ist dem Autor klar, dass er mit seinen Gedanken und Worten nicht allein ist. Kein Wunder, dass inzwischen in allen drei Gattungen die direkte Leseransprache zum zeitgemäßen und guten Ton gehört. Der Leser, das ist heute ein Gegenüber – auf Augenhöhe mit dem Autor.

Aus: Oliver Gorus: Erfolgreich als Sachbuchautor. Gabal 2011. Mit freundlicher Genehmigung des Gabal Verlags. (Fotos: Michael Schikowski)