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Migration als Ware

Eines Tages wird das Wort Entnazifizierung versunken sein, weil der Zustand, den es beenden sollte, nicht mehr vorhanden ist.

Victor Klemperer, LTI


Patrick Bahners
Die Panikmacher.
Die deutsche Angst vor dem Islam.
Eine Streitschrift
C.H. Beck 2011

Patrick Bahners widmet sich in diesem Buch dem Formelvorrat der Islamdebatten der letzten Jahre. Dabei geht es ihm dankenswerterweise nicht um die Kunst der gehässigeren Formulierung und der herabsetzenderen Darstellung von Thilo Sarrazin, Peter Sloterdijk, Necla Kelek und Hendryk M. Broder. Viel mehr geht es ihm um ihre Techniken der Eristik, des Rechthabenwollens, des Wahrgenommenwerdens und des Themensetzens um fast jeden Preis. Er erläutert dies alles in der ganzen notwendigen Kleinteiligkeit der Daten, Orte und Anlässe ihrer mündlichen oder schriftlichen Äußerungen.

Und weil das so ist, ist dieses Buch auch keine Streitschrift, sondern eine Argumentationsanalyse, der nichts weniger zukommt als dieser Buchumschlag nach Schirrmachers Bestsellern. Dem Buch hätte Bahners, der sich gelegentlich auf Szenen und Bilder bezieht, eine Analyse der Fernsehbilder anfügen sollen. Kann ja noch kommen: „Die Panikmacher in Bildern“.

Areligiöse Erbarmungslosigkeit

Gleichwohl sich in diesem Buch gelegentlich grimmige Ironie findet, fehlt der schnelle polemische Zugriff auf die knackigen Stellen, den eine Streitschrift nahelegt. Darum aber kann das Buch um so nachhaltiger dazu beitragen, die Verwandlung einer Debatte in eine Ware aufzuzeigen, die ihren Teilnehmern augenblicklich eine auskömmliche Beschäftigung bietet.

Diese Art der Aufmerksamkeit und Auskömmlichkeit, und dies kann man nur in intensiver Analyse der Argumentation wie Bahners sie bietet nachweisen, verwandelt ihre Argumentation nachhaltig. Und weil dies auch von den Diskutanten gefühlt wird, geht es ihnen immer um Deutschlands Zukunft. Es geht immer um alles, um die Details und politische Machbarkeit nie.

Die Erlebnisreize dieser Argumentation legt Patrick Bahners offen und zeigt damit zugleich, wo sich das bürgerliche Publikum den „Kappzaum der Scham“ (Mommsen über Treitschke) abnehmen lässt. Für Probeläufe dieser Schamlosigkeit stand auch schon Thilo Sarrazin zur Verfügung, als er einige Tage auf Hartz IV Niveau lebte. In Frage sollte also eigentlich nicht so sehr die Religionsbindung der Migranten stehen als die areligiöse Erbarmungslosigkeit der Diskutanten.

Die Vermarktung des Kopftuchstreits

Dass dabei gerade wissenschaftliche Veröffentlichungen im Prozess ihrer Verwandlung in eine Populardarstellung ihre Aussage umkehren, gehört mit zu den schwarzen Augenblicken des Buchtyps Sachbuch. Diese Verwandlung der Ergebnisse in ihr Gegenteil erläutert Bahners an der Umkehrung der zentralen These bei Necla Kelek. Ist in ihrer Dissertation noch von der Sozialisation durch den Islam die Rede, wird in ihrem ersten populären Erfolg „Die fremde Braut“ die genau entgegengesetzte These vom Islam als Integrationshemmnis geboten. Dies ist aber nur ein Beispiel für die Dominanz der Warenform über die Denkform. Hier wird der Kopftuchstreit in einem ganz neuen Sinne vermarktet.

Bahners zeigt damit wie Forschungsergebisse und Agumentationen eine Flexibilisierung erfahren, die durch nichts, schon gar nicht durch Gegenargumente, einholbar ist. Wer nur einige Minuten online-Kommentare zum Thema und den Diskutanten liest, wird sofort die sich selbst organisierende und stets überbietende Verantwortungslosigkeit unter den Kommentaren erkennen. Alles vorgetragen nach dem jeweiligen Kurs der Aufmerksamkeitsökonomie: Lasst mich mal, ich kann noch ärger!

Dazu zählen dann auch die urbanen Mythen von den angeblich am Bankschalter verschwundenen Sparschweinen, der angeblich anlässlich eines Moscheebesuchs vorgefallenen Ablehnung der Entgegennahme einer Bibel durch den Imam, die angeblich von Schulen vertuschte Verweigerung des Schwimmens bei muslimischen Mädchen. Alles Erzählungen, die sich jederzeit anpassungsfähig und durch nichts emprisch widerlegbar erweisen und die Patrick Bahners alle einzeln anführt, überprüft, verwirft und dann jedoch in zahlreichen Argumentationen antrifft.

Die neue Gemeinschaftserregung

Es bleibt dabei, entgegen der keifenden Lodenmäntel mit Hirschhornknöpfen zu denen Thilo Sarrazin so erfolgreich spricht, stammt die beste Kurzrezension seines Buches immer noch von Angela Merkel: „Nicht hilfreich.“

Allerdings, die Lodenmantelfraktion ist es ja gar nicht alleine, die sich hier lustvoll ereifert. Sie hat sich ja längst mit anderen, ihr bislang entgegen gesetzten Gruppen verschmolzen. Patrick Bahners gibt, soweit ich sehe, keine Antwort darauf, worin die soziale Basis dieser neuen Gemeinschaftserregung zu sehen ist. Am Ende ist sie es, diese Gemeinschaftserregung selbst, die um Willen einer neuen sozialen Basis entsteht.

Migration als Marktführer

Die Teufelei der Sache liegt nun jedoch darin, dass die Migrationsdebatte längst ihre eigenen Strukturen an Produzenten, Konsumenten und Kommentatoren geschaffen hat. Die Ware, die hier gegen Aufmerksamkeit und Geld getauscht wird, ist die Migrationsdebatte selbst. Dieser Kreis ist ziemlich geschlossen und es fragt sich sehr, ob es Bahners mit seinem Buch oder ob es ägyptischen Demokraten gelingen wird, einen Preissturz auszulösen. Denn das System erzeugt stets neue Anlässe, deren Ursprung die Diskutanten längst selbst sind. Ein Produkt, das wirklich wahnsinnig gut läuft.

Deshalb wird man bei Sarrazin, Kelek und Broder auch angesichts der revolutionär-demokratischen Entwicklung in der islamischen Welt auf wenigstens partielle Rückrufaktionen ihrer eigenen Iniatitiven vermutlich vergeblich hoffen.

Die enorme Geschwindigkeit und gewohnte Lässigkeit mit der die Repliken von Thilo Sarrazin in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und Hendryk M. Broder in der „Welt am Sonntag“ auf das Buch von Patrick Bahners antworten, beides Autoren übrigens, die niemals auch nur die Spur eines Irrtums zugegeben hätten, was zeigen sie denn anderes, da sie ohne zeitaufwendige Analyse oder eingehende Fehlernachweise bei Bahners auskommen, als die lange Nase des Marktführers, dem der Weg zu den Reflexen soviel kürzer erscheint, als der zur Reflexion?

Zur Rezension von „Deutschland schafft sich ab“ hier.

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Preis der Leipziger Buchmesse 2011

In der Kategorie bestes Sachbuch/Essayistik
erhielt den Preis der Leipziger Buchmesse 2011:

Henning Ritter
Notizhefte
Berlin Verlag 2010

Zur Besprechung des Buches unter dem Titel
In Grauwacke gemeißelt hier.

Weiterhin nominiert waren in der Rubrik Sachbuch/Essayistik:

Patrick Bahners
Die Panikmacher.
Die deutsche Angst vor dem Islam.
Eine Streitschrift
C.H. Beck 2011

Zur Besprechung des Buches unter dem Titel Migration als Ware hier.


Andrea Böhm
Gott und die Krokodile.
Eine Reise durch den Kongo
Pantheon Verlag 2010

Karen Duve
Anständig essen.
Ein Selbstversuch
Galiani Verlag 2010

Marie Luise Knott
Verlernen.
Denkwege bei Hannah Arendt
Matthes Seitz 2010

Ein attraktiver kulturgeschichtlicher Essay, ebenso knapp wie klar. Gelassen und humorvoll wie die Arendt, nicht zuletzt durch die dem Buch mitgegebenen wunderbaren Bildsprachspiele von Nanne Meyer.

Zum Preis der Leipziger Buchmesse 2010.