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Die fertige Generation


Christiane Florin
Warum unsere Studenten so angepasst sind
rororo 2014

Christiane Florin hat sich kein Pseudonym zugelegt. Dabei hat sie schon Erfahrungen sammeln können, wie es ist, mit Menschen zu diskutieren, die sich ungerecht behandelt fühlen und von denen etwas erwartet wird, wozu sie einfach keine Lust haben. Die Studierenden.

Die Autorin berichtet ehrlich und ungeschützt über eine Generation, die über die sozialen Netzwerke vor allem darin geübt wurde, unter Verschweigen ihres Klarnamens gehörig Dampf abzulassen, und ansonsten sich überaus strategisch zu verhalten, hochmoralisch und berechnend zugleich.

Christiane Florin sitzt ihnen als Lehrbeauftrage für Politikwissenschaft gegenüber. Florins Bereitschaft zu lernen und in ein Gespräch mit offenem Ausgang zu geraten, stößt auf perfekt Angepasste, auf fertige Menschen, auf Dienst nach Mitschrift. Die Verwechslung von Meinungsbildungsprozessen und politischen Voten mit digitaler Menüwahl oder analoger Produktwahl ist dieser Generation in die Chromosomen gelegt. Florin schreibt: „Als Bürger kommen sich junge Erwachsene oft ohnmächtig vor, als Konsumenten fühlen sie sich mächtig.“

Florin wechselt in ihrem präzisen Buch als teinehmende Beobachterin zwischen Selbstaussagen der Studierenden, ihren Internetkommentaren und aufschlussreichen Seminardialogen. Besonders stark sind ihre vielen zugespitzten Sentenzen: „Sie wollen nicht die Macht verstehen, sondern sich von den Mächtigen verstanden wissen.“

Wer die Verhältnisse aus eigener Anschauung kennt, also, wie Florin treffend schreibt, Teil der „geistigen Systemgastronomie“ der Universitäten ist, wird die vertrackte Ausweglosigkeit, in der sich Lehrende und Lernende hier belauern, sofort nachvollziehen. Alle anderen sollten die falsche Ehrfurcht vor der Modernität, dem Anderssein, dem Ganz-schnell-ganz-vorne-dabei-sein dieser Generation getrost wieder vergessen.

Die erste Generation, deren Freiheit mit Optionen, man selbst zu sein, komplett umstellt ist. Teilnehmer einer Truman Show, die nicht aufhört. Sie können alle Chancen nutzen, aber daran wachsen können sie nicht. Eine fertige Generation. Ein klasse Buch.

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Dreierlei Grabreden

Stephanie Cooke
Atom
Die Geschichte des nuklearen Zeitalters
Kiepenheuer & Witsch 2010

Merle Hilbk
Tschernobyl Baby
Wie wir lernten, das Atom zu lieben
Eichborn 2011

Hubert Mania
Kettenreaktion
Die Geschichte der Atombombe
Rowohlt 2010

Stephanie Cooke schreibt eine elegante Gesamtdarstellung unseres nuklearen Zeitalters. Eine Geschichte wie aus einer megalomanen Urzeit.
Merle Hilbk berichtet in ihrer Reportage vom Ort dieses Futurismus vergangener Zeiten. Im April 2011 ist es fünfundzwanzig Jahre her, dass die ohnehin als kaum erquicklich empfundene russische Landschaft unbegehbar wurde.

Eine Landschaft, in die man sich diejenigen wünscht, die atomare Gefahr mit Verkehrsunfällen oder Opfern des Kohleabbaus vergleichen. Ein starkes Buch, wenn auch keines für Frühlingsgefühle.

Zur militärischen Vor- und Begleitgeschichte des Atoms nur noch der Hinweis auf das großartige Buch von Hubert Mania.

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Das beste Sachbuch und die besten Sachbücher 2010

Die besten deutschsprachigen Sachbücher des Jahres wurden auf dieser Seite bereits in den Jahren 2008 und 2009 präsentiert. Ein Preisgeld steht nicht zur Verfügung und die Jury besteht aus nur einer Person.

Ausgezeichnet werden Bücher in folgenden Kategorien: erzählendes zeitgeschichtliches Sachbuch, erzählendes historisches Sachbuch, erzählendes naturwissenschaftliches Sachbuch, Jugendsachbuch, Bildsachbuch, Reportage, Biografie und Ratgeber.

Die beste Sachbuch des Jahres 2010 ist:

Jens Soentgen
Von den Sternen bis zum Tau
Eine Entdeckungsreise durch die Natur
Peter Hammer 2010

„Naturwissenschaft macht glücklich“, meint Jens Soentgen und vertraut eher seinem Text als der sonst üblichen üppigen Bebilderung. Durch die eingestreuten Bilder von Vitali Konstantinov wird nebenher deutlich, dass die ausufernde Bebilderung der einschlägigen Naturbuchverlage die Experimentierfreude zu Hause mehr ersetzt als anregt. Nicht allein aus der Danksagung des Autors ergibt sich, dass wir es hier mit einem Mehrgenerationenbuch zu tun haben. Ein wunderbares Varieté der Anschauung, ein ausgezeichnet geschriebenes Blätterwerk der Anregung, ein zeitloses Vademecum für die ganze oder halbe Familie.

Wie hoch ist der Baum?
Eine Leseprobe aus:
Soentgen, Von den Sternen bis zum Tau
gelesen von Friederike Frey
Dauer: 1,44 Min.

Als weitere beste Sachbücher 2010 sind zu nennen:

In der Kategorie bestes erzählendes zeitgeschichtliches Sachbuch:


Sarah Zierul
Der Kampf um die Tiefsee
Wettlauf um die Rohstoffe der Erde
Hoffmann und Campe 2010

Sarah Zierul taucht nicht unter in den Fluten der Information. Anschaulich und klug geht sie mit ihren Lesern auf Tauchgang zu einem unbekannten Kontinent, der gerade erst erschlossen wird.

In der Kategorie bestes erzählendes historisches Sachbuch:


Angela Steidele
Geschichte einer Liebe
Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens
Insel 2010

In der Kategorie bestes erzählendes naturwissenschaftliches Sachbuch:

Hubert Mania
Kettenreaktion
Die Geschichte der Atombombe
Rowohlt 2010

Hubert Mania ist nach seinem ‚Gauß‘ und nun mit ‚Kettenreaktion‘ auf dem besten Weg ein Klassiker zu werden, ein Klassiker der deutschsprachigen naturwissenschaftlichen Sachliteratur.

In der Kategorie bestes Bildsachbuch:

Detlev Arens
Der deutsche Wald
Fackelträger 2010

Detlev Arens gelingt mit diesem bemerkenswert gut geschriebenen und sehr raffiniert bebilderten Buch den Wald, den ja jeder mag, auf zugleich vertraute und neue Art zu beschreiben. Der Wald präsentiert sich hier als Spiegel und als Zuflucht, der Wald als Welt.

In der Kategorie beste Reportage:

Moritz von Uslar
Deutschboden
Eine teilnehmende Beobachtung
Kiepenheuer & Witsch 2010

Von Uslar wagt sich raus und traut sich zudem mit Sachen zurück, die man nicht von ihm erwartet in Berlin.

Dieses Buch wurde auf dieser Seite schon besprochen: Hier.

In der Kategorie beste Biografie:

Barbara Beuys
Sophie Scholl
Hanser 2010

Seit gut drei Jahrzehnten arbeitet diese Autorin an einem beeindruckenden Oeuvre, das sich ausschließlich der Sachliteratur widmet. Ein Werk, das bleiben wird. So wie diese Scholl-Biografie. Beeindruckend wie voraussetzungslos die Beuys zu schreiben versteht und an diesem Leben zeigen kann, wie man sich über Briefe und Tagebücher auf der Höhe der Forschung bewegt.

In der Kategorie bester Ratgeber:

Kathrin Passig / Aleks Scholz
Verirren
Eine Anleitung für Anfänger und Fortgeschrittene
Rowohlt Berlin 2010

Wissen, wo’s kurz geht, aber das eher lange beschreiben müssen, ist eine Eigenschaft von Menschen, die nicht begreifen, dass Unschärfen zum Leben gehören. Man kann mit allen Vorkehrungen nur schwer sich unterwegs fühlen. Wer weiß, dass man ‚Stille Post‘ nicht per SMS spielen kann, wird diesen ausgezeichneten Ratgeber der Abweichung und Verirrung sofort verlegen.

Zu den besten deutschsprachigen Sachbüchern des Jahres 2014, des Jahres 2013, des Jahres 2012, des Jahres 2011, des Jahres 2009, des Jahres 2008.