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Herfried Münkler
Der Dreißigjährige Krieg
Europäische Katastrophe, Deutsches Trauma 1618-1648
Rowohlt Berlin 2017
Geschichtsbücher sind Formen der Gegenwartsbewältigung. Das limitiert sie in gewisser Weise, wenn die Zeiten, für die sie geschrieben wurden, sich ändern. Das macht sie aber auch spannend. Spannend ist also auch dieses Buch von Herfried Münkler. Nicht alle halten diese Spannung, die Münklers Geschichtsdarstellung mit sich bringt, aus. So haben Münklers Auslassungen vor Studenten zuletzt zu Angriffen geführt, nicht allerdings in seinen Seminaren, sondern, begünstigt von den Sehschlitzen des Digitalen, aus dem Raum einer vernetzten, also bloß in der Gruppe auftretenden Pseudoöffentlichkeit.
Münklers Buch bildet eine Gegenwartsbewältigung der aktuellen außenpolitischen Situation Deutschlands. Er schreibt über den Dreißigjährigen Krieg: Wer die Vorgeschichte und die ersten Jahre des Krieges studiert, wird gegenüber der Fixierung auf das Recht als Bewältigungsform politischer Herausforderungen skeptisch werden und darüber nachdenken, ob nicht strategische Kompromissbildung sinnvoller ist als das dogmatische Insistieren auf rechtlichen Bestimmungen.
Man kann darin auch die Bewältigung der Flüchtlingsströme durch Fixierung auf Rechtsfragen des betreffenden Zeitraums erkennen. Diese Debatte wird überall noch immer mit den Füßen aufstampfend geführt. Münkler geht in der Zwischenzeit aber weiter und teilt auch weiter aus: Neben dem Reaktionsmodell des Rechtlichen steht hierzulande das des Moralischen. Die Erörterung politischer Herausforderungen im Horizont moralischer Normen und Imperative ist vielfach an die Stelle strategischen Denkens getreten.
Also beide Varianten der Reaktion, die Ablehnung aus Rechtsgründen und Befürwortung aus Moral, werden von Münkler in den Senkel gestellt. Zwei Wertbindungen, die sich ihrer Prinzipien so gewiss sind, eben weil sie sich niemals beugen lassen. Auch gegenüber der Realität nicht, auch einer schon vergangenen Realität gegenüber nicht. Im Gegenteil, wie unter dem Zwang juristischer und moralischer Logorrhöe wird immer auf dasselbe rekurriert.
Über die verhängnisvollen Folgen unbedingter Wertbindung lässt sich anhand des Dreißigjährigen Krieges viel lernen – unter anderem auch, dass es ohne eine Abkehr davon zu keinem Friedensschluss gekommen wäre. Die auf ihren Werten insistierende Römische Kurie hat deswegen dem auf Kompromissen beruhenden Friedensschluss von 1648 nicht zugestimmt, sondern ihn verurteilt.
Man kann also bei der Bindung an Werte sehr konsequent sein und aus ihr heraus jede Art von Kompromiss als Rechtsbeugung, jede Art von Nachgeben als Verfall der Moral denunzieren, auch nach dreißig Jahren Krieg.
Die Darstellungen Wallensteins oder Gustav Adolfs waren immer zeitgebunden. So sah Walther Mehring in Gustav Adolf den Militaristen, diese hatten in seiner Zeit des preußischen Machtstaates das Sagen, Günter Barudio beschrieb für die frühe Bundesrepublik, die sich in die EU integrierte, den Schwedenkönig als Verfechter des libertären Verfassungsstaates. Darin allerdings zeigt sich nicht etwa ein Abirren der Autoren, sondern die sachgemäße Erledigung ihrer Aufgabe.
Wozu also sollen wir uns mit dem Dreißigjährigen Krieg beschäftigen? Doch wohl nicht etwa, weil sein Beginn nun 400 Jahre zurückliegt?
Wir beschäftigen uns mit ihm, weil die zahlreichen vergeblichen Versuche, während des Dreißigjährigen Krieges zum Frieden zu gelangen, uns etwas darüber verraten, dass den Frieden zu erhalten, eine strategische Aufgabe der Gegenwart ist. Sobald nämlich der Krieg entfesselt ist und in die Phase seiner Verselbstständigung als Geschäftsmodell und Bewirtschaftungsform eingetreten ist, verlässt ihn die Kraft erst dann, wenn der Wirtschaftsraum, der ihn unterhält, buchstäblich zusammenbricht. Aber selbst dann gibt es Gruppen, die sich als nicht einverstanden erklären.
Münkler schreibt sein Buch mit dieser bewussten Zeitbindung, auch insofern er auf die Kriege im Vorderen Orient und in Nordafrika im Vergleich zum Dreißigjährigen Krieg eingeht. Münkler wirbt ganz gegenwärtig für mehr analytische Geschmeidigkeit, der darum längst nicht alles gleich ist, für mehr strategisches Denken, das uns aus den Fallen der unbedingten Wertbindung, des Prinzipiendenkens der Unbeirrbaren und Unbelehrbaren zu befreien verspricht.
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Herfried Münkler
Die Deutschen und ihre Mythen
Rowohlt Berlin 2009
Der Preis der Leipziger Buchmesse 2009 geht an Herfried Münkler für das Buch „Die Deutschen und ihre Mythen“, erschienen bei Rowohlt Berlin. Münkler bringt alle zwei bis drei Jahre ein ebenso gut lesbares wie im Zugriff innovatives historisches Werk hervor. Mal überwiegt bei ihm der wissenschaftliche Neuansatz, wie in „Die neuen Kriege“ von 2002, mal wie im preisgekrönten Mythenbuch die großen Erzählungen. Herfried Münkler schildert in seinem Buch die Nationalmythen der Nibelungen und des Doktor Faust, die ultramontanen Kampfmythen von Arminius und Luther, den Mythos Preußen, die mythischen Burgen und schließlich einige wenige politische Mythen nach 1945. In allen Abschnitten aber wird die Wirkungsgeschichte, die Geschichte des Aufnehmens, Ergänzens und Verwandelns der Mythen erzählt, so reichen alle Kapitel weit über den Zeitraum der Entstehungszeit der Mythen hinaus, eben so weit, wie ihr Leben in Politik, Kunst und Literatur nachweisbar ist. Gleich im Einleitungskapitel konstatiert Münkler allerdings nüchtern, dass uns die Mythen im Grunde nichts mehr sagen. Er führt dies auf die Veränderung der medialen Systeme – denn Mythen bewegen sich im Medium der Kunst und Literatur – und auf den Schwund des Bildungsbürgertums zurück, der wichtigsten Sparer auf dieses Konto politischer Erzählungen. Diesen Verfall des symbolischen Kapitals stellt er, darin ist Münkler ganz er selbst, klar und klaglos fest.