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Willkommen bei den Quendels

Caroline Ronnefeldt
Quendel
Ueberreuter 2018

Zwischen den Dörfern Grünlohe und Wetterstern im Hügelland liegt der Finster, ein dichter, undurchdringlicher Wald, den kein Quendel aufsucht. Denn ein Quendel ist nicht neugierig, er genügt sich selbst und lebt mit sich und der Welt im Reinen, im Hügelland in einer Schleife des Flusses Kaltwasser. Quendel ist auch der Name des Feldthymians auf Wiesen und Feldern und gut möglich, dass Caroline Ronnefeldt meinte, dass zu diesem schönen Namen eine Geschichte gehört.

Die Karte des Hügellands, die Caroline Ronnefeldt, eine Naturillustratorin mit Fabulierlust, für den Vorsatz des Buches gezeichnet hat, verspricht noch weitere spannende Schauplätze nachfolgender Bände, Orte wie Rabenstein, Finklage und Bäumelburg. Nicht ohne Pointe ist daher, dass es zwei Karten sind, die die Helden dieser Fantasy-Saga in den Finster hinein- und auch wieder hinausführen. Bullrich Schattenbart aus Grünlohe treibt die Neugierde des Kartographen in den Finster, in dem er prompt verschwindet. Der Suchtrupp, der aus Hortensia Samtfuß-Krempling, Karlmann Hallimasch, Odilio Pfiffer und Zwentibold Bitterling besteht, findet mittels der Karte des Boso Reizker wieder hinaus.

Bücher, die ihre Leser zunächst in den Rhythmus des Buches hereinholen wollen, haben es schwer. In einer Gegenwart, in der alles auf Überraschungen ausgerichtet ist, alles der Vertreibung der Langeweile dient, wird hier der lange Atem kultiviert. Keine schnellen Wendungen, sondern große absehbare Bögen. Bücher als Schutzräume, die von allen Außenreizen kraftvoll abschirmen und ein wohliges Abtauchen ermöglichen.

Wer als Illustratorin so genau hinschaut wie Caroline Ronnefeldt bleibt sprachlich nicht zurück. Hier gibt es kein flüssig und flüchtig erzähltes Kopfkino. Caroline Ronnefeldt verwendet unverdrossen die Begriffe, die sie zur Beschreibung von Landschaft und Natur nun einmal braucht, und erzählt – das Buch erzählt gerade mal einen Tag – genau und naturnah.

Die Welt der Quendels ist eine unterkomplexe, bäuerliche Welt in Eintracht mit der Natur – Hund (Trautmann) und Katze (Reizker) sind treue Gefährten. Die Quendels leben mit dem Finster als monströsen blinden Fleck ihrer durch und durch freundlichen Behaglichkeit, er ist der schaurige Urgrund ihrer interesselosen Beschaulichkeit. So klar geschieden ist allerdings auch die Quendelwelt nicht und somit ist das Abenteuer des zwielichtigen Eigenbrötlers Fendel Eichhase eine erzählerisch großartig entwickelte Passage des Buches.

Allein, wo Komplexität fehlt, bleiben nur binäre Verhältnisse. Es wird also ungemütlich und die abgespaltene Gegenwelt macht sich bemerkbar: Niemand, der von dort stammte, war aus Fleisch und Blut, aber sehr viel mehr als ein bloßer Schatten; die Gestalt gewordene Erinnerung an ein einstmals lebendiges Wesen und verdammt zur ewigen Wanderschaft in den Schattenlanden, am Rand der wirklichen Welt. So ist dieses Buch der heilen Quendelwelt für die schreckhaften Qendels wie die Leser ein veritabler Schauerroman.

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Erleben und verstehen

Daniel Höra
Was wir nicht wollten
Roman
Ueberreuter 2018

In ihrem Gartenprojekt in der reichlich herunter gekommenen Siedlung gehen die Freunde richtig auf. Wie unter Anleitung eines nicht existierenden Sozialprojektleiters findet jeder der fünf, Koko, Betty, Tomi, Scholle und der Erzähler einen Platz in der Gruppe und im Garten.

Gemeinsam bauen sie etwas auf. Bis ein Bagger alles platt macht. Ihre harmlos geplante Rache wächst ihnen über den Kopf, auch weil Heiner plötzlich auftaucht, der immer wieder einmal Nietzsche, den Verführer zur Verachtung, zitiert.

Wie ein Gegengift, ein analytisches allerdings, erläutert der dreizehnjährige Erzähler die Geschichte immer wieder aus dem Fundus der Erkenntnisse der Anthropologin Katje van Ripwinkel, deren Buch über Gruppenverhalten er gelesen hat. Ein seltenes und wunderbares Beispiel für ein Jugendbuch, das die Leistungsfähigkeit von Wissen in Situationen zeigt, die uns überfordern.

Und noch viel mehr, Höra zeigt, dass Lektüren einen Fundus an Erklärungen bereitstellen, die wir erst im Augenblick des Erlebens heranziehen. Hier erklären Texte nicht allein das Erlebte, sondern auch das Erlebte den Text.

Ripwinkel hatte den Jagdinstinkt mal als ‚Befreiung vom Denken‘ bezeichnet. Das hatte ich nie verstanden. Bis eben. Statt dem Kult des bloßen Erlebens zu frönen, durch das sich dann irgendwie alles von selbst versteht, zeigt Höra seinen Helden beim Versuch, die Ereignisse intellektuell zu verarbeiten. Ein grandioses Buch.