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Karsten Krampitz
1976. Die DDR in der Krise
Verbrecher Verlag 2016
Das Buch von Karsten Krampitz, das die Ereignisse des Jahres 1976 in der DDR erzählt, ist auch eine Reise in die politischen Geschichte der BRD. Was sich allerdings damals aus der Westperspektive als starker Staat gerierte, hatte zu dieser Zeit bereits, wie Krampitz klarstellt, mehr Vergangenheit als Zukunft.
Krampitz berichtet über den Versuch der Publikation des Bandes Berliner Geschichten an der Zensur vorbei, den Tod Michael Gartenschlägers an den Grenzanlagen, den IX. Parteitag, die Auseinandersetzungen um den Eurokommunismus, den Tod eines italienischen Kommunisten an der Grenze und den Fall Oskar Brüsewitz.
Bei den Olypischen Spielen in Montreal landete die DDR, ein Staat mit der Bevölkerungsanzahl von NRW, auf Platz zwei des Medaillenspiegels. „Die Partei“, schreibt Krampitz in diesem Zusammenhang, „war nie in der Lage, die Mehrheit der Menschen im positiven Sinne emotional zu erreichen.“
Warum Krampitz Reiner Kunzes Die wunderbaren Jahre aus dem Jahr 1976 nur am Rande erwähnt, ein Buch auf das doch Kunzes Rauswurf aus dem DDR-Schriftstellerverband erfolgte und das dann im Westen verfilmt wurde, ist nicht recht nachvollziehbar. In dem Buch spielt das Verhältnis von Musik und Politik eine wichtige Rolle.
Man hätte sich auch gewünscht, dass er es mit dem Jahr 1976 nicht allzu genau nimmt, und Rudolf Bahros Die Alternative von 1977 in die Krisenanalyse aufnimmt. Denn beide Bücher erschienen in der BRD. Auch Biermann gab sein Konzert in der BDR. Politik und Musik auch hier.
Die Ausbürgerung Biermanns und der Hausarrest für Robert Havemann schließen damit das Annus horribilis der DDR ab. Zudem: der Protest gegen die Ausbürgerung wurde zur Sammlungsbewegung und diese verstetigte sich zur Dauereinrichtung.
In einer Aktennotiz schrieb Bischof Albrecht Schönherr über die Schriftsteller: „Für Biermann wird laut genug geredet. Für die Schriftsteller wollen wir einiges tun: Sie lesen. Sie zitieren. Sie einladen.“ Krampitz sieht in diesem Vermerk eine „Weichenstellung“, insofern hier in den Räumen der Kirchen die Artikulation des Protests durch die Schriftsteller den entscheidenden Resonanzraum erhielt.
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Karsten Krampitz
Wasserstand und Tauchtiefe
Roman
Verbrecher Verlag 2014
Mark Labitzke, ein Mittvierziger, unverheiratet, übergewichtig, abgebrochenes Studium der SED-Geschichte, Programmierer und ohne Stelle, erzählt von seinem Leben. Aber er erzählt es nicht eigentlich uns, sondern seinem Vater, den er zusammen mit der polnischen Krankenschwester Agnieszka pflegt. Nach dem dritten Schlaganfall ist der Vater, Karl-Heinz Labitzke, ehemals Bürgermeister von Schehrsdorf, verstummt und muss künstlich ernährt werden.
Anschaulich schildert der Roman das Totalversagen des real existierenden Sozialismus. Nun ist der Sozialismus wie der stumme Körper des Vaters: „Kein Leib, nur noch Körper. Bist nur noch ein Zitat.“ Im Gegensystem, im Kapitalismus, scheitert der Sohn, kündigt seine Stelle im Call-Center und verlegt sich auf betrügerische Vorteilsnahme gegenüber den Behörden. Der Kampf der Systeme ist längst beendet. Das eine versinkt in Schweigen, das andere verquasselt seine Zeit in der Nische des Sozialbetrugs.
Was Schehrsdorf im Speckgürtel von Berlin, eine Stadt, wie es im Roman häufiger heißt, „die keine ist“, als Ausgleich anzubieten versucht, ist wenig. So erzählt dieser Roman von den kleinen Gemeinschaften, die die großen Risse der Gesellschaft auf ebenso unvollkommene wie rührende Art zu kitten versuchen.
Karsten Krampitz gelingt aber das Kunststück – das vor ihm vor allem Robert Walser gelang – aus all dem einen heiteren, ja nahezu komischen Roman zu fabrizieren. Der freundliche Gleichmut seines Helden steckt an und man beginnt diese Gestalten von Schehrsdorf, wo Mark mit dem Vater und Agnieszka lebt, zu mögen, den Country-Verein, die freikirchlichen „Jesus-People“, Herrn Mischnik und seinen Sophienhof, der suchtkranke Senioren betreut. Ich vermisse sie jetzt schon. Was kann man über einen Roman Besseres sagen?