// 2015

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Kein Platz für Georg Forster

Jürgen Goldstein
Georg Forster
Zwischen Freiheit und Naturgewalt
Matthes & Seitz 2015

Georg Forsters wichtigstes und heute noch gut lesbares Buch sind die Ansichten vom Niederrhein. Was man auch immer für die Schullektüre schon vorgeschlagen hat, dieses gewiss nicht. Auszüge des, wie Goldstein schreibt, „ungelesenen Klassikers der deutschen Geistesgeschichte“ verdienten es aufgenommen zu werden, vor allem die, in denen Forster die Landschaften des Niederrheins sozialgeschichtlich deutet.

Nicht ohne Grund blieb der Mainzer Revolutionär Georg Forster in Deutschland literaturgeschichtlich nach 1848 außen vor. Trotz Schlegels berühmten Essay Georg Forster, der sich in vielen Sammlungen bis heute hielt, verschwand Georg Forster. Die große kritische Werkausgabe entstand dann in Ostdeutschland ab 1958. Georg Forster wurde stets politisch bewertet.

Die Folgen sind enorm, da wer so aus der Geistesgeschichte herausfällt, dort nie wieder Fuß zu fassen vermag – auch nicht bei denen, die sich eigentlich auf ihn berufen könnten. Seinen Gegnern gelang es – kein Einzelfall in Deutschland – ihn auf eine Art und Weise zu verschweigen, dass ihn auch seine Befürworter vergaßen.

Jürgen Goldstein gibt in seinem Buch Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt eine kompakte Darstellung des Lebens und der Werke Georg Forsters. Goldstein bespricht, erläutert und deutet vor allem die Werke. Dabei entfaltet sein Text nicht die große Nacherzählung dieses überaus abenteuerlichen Lebens, sondern verdichtet Leben und Werke zu einer geistesgeschichtlichen Gesamtschau. Gegenüber älteren Darstellungen gelingt es Goldstein, Forsters Bedeutung sprachlich elegant und hervorragend gut lesbar aus dem Werk nachzuweisen.

Für eine Renaissance Georg Forsters im wiedervereinigten Deuschland sorgte 1987 zuerst Klaus Harprecht mit einer bedeutenden, auch für das Genre Biografie gelungenen Darstellung. Ihm folgte 1996 Ulrich Enzensberger. Dann erschien 2007 ein Neuausgabe von Forsters Meisterwerk Reise um die Welt. Alle zehn Jahre Forster: Nun also, 2015, Jürgen Goldstein. Und irgendwann ist Forster im deutschen Lesebuch.

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Mütterroman

Anke Stelling
Bodentiefe Fenster
Roman
Verbrecher 2015

Die Mutter der Heldin Sandra gehört zu der Generation, die es einmal besser haben sollte. Sie hatte es besser. Sandra aber, inzwischen selbst Mutter von zwei Kindern und mit ihrem Mann Hendrik in einem Gemeinschaftshaus lebend, sollte es besser machen. Und wie genau das gehen sollte, wussten die Mütter.

Sandra versucht nichts weniger, als ihr Leben und ihre Sicht auf Menschen und Dinge auf der Grundlage eines Bauplans zu errichten, den ihre Elterngeneration entwickelt hat. Der Bauplan der Familie als einer solidarischen Gemeinschaft. Und der Bauplan um die Familie herum, ein Gemeinschaftshaus mit Gemeinschaftsräumen, einem Gemeinschaftsgarten und einem wöchentlichen Plenum.

„Aber die bodentiefen Fenster erschweren, ehrlich gesagt, das Einrichten, zumindest, wenn man nicht schon bei der Grundrisserstellung wusste, wer wo schlafen soll und mit wie vielen Menschen und Möbeln man einzieht. Die Fenster verlangen ein schlüssiges Gesamtkonzept.“

Der Unterschied von Komödie und Tragödie hängt an der Heldin. Sieht sie nicht worauf es hinausläuft, ist das tragisch. Sieht sie es aber, und Sandra sieht es sehr genau, übergenau, dann wird es komisch. Und doch ist das Buch keines, in dem die Beziehungen zu Nachbarn, Geschwistern und Freundinnen, zu Männern und zu Kindern, zu Erzieherinnen und den Eltern, von denen ausschließlich aus der Perspektive von Sandra die Rede ist, auf eine bloß frotzelnde Art ertragen und am Laufen gehalten werden.

Bei Anke Stelling löst sich nichts in Lachen auf, ihre Dosis an Humor ist zu fein dosiert, als dass sie ein befreites Lachen auslöst. Gewiss, der Alltag von Sandra ist nicht so schrecklich, dass er nicht auch zum Lachen wäre, aber an keiner Stelle verliert das Lachhafte seinen Schrecken, den Schrecken einer weichen Falle.

Im Gegenteil, die kommunikative Komplexität der Welt wird durch die Tatsache, dass alle Komplexität sich eigentlich nur dem Reden verdankt, weiter gesteigert. Das überrascht diese Generation, die nicht aufhört zu quatschen, war sie doch in dem Glauben erzogen worden, dass allein reden hilft, immer. Alles Reden aber zieht nur Reden nach sich.

Wer nicht redet, ist allein. „Im Reden konstituiert sich unsere Gemeinschaft“, schreibt Anke Stelling. Im Reinreden auch. Auch im sich selbst Reinreden, wie es Sandra und ihre Selbstzweifel, ihre genauen und komischen Beobachtungen, ihre verbalen tagträumenden Ausraster zeigen. „Meine Angst, meine Träume, meine verfluchten, bodentiefen Fenster.“ Die längst verinnerlichten Werte der Elterngeneration.

Ein großartiger Unterhaltungsroman, wahrhaftig und witzig. Ein Buch, das Spaß macht, aber keine Späße. Der Roman der Kinderladengeneration, die nun, selbst im Alter der Eltern damals, mit den bodentiefen Fenstern mehr Licht in die Räume lässt. Um nur noch genauer, übergenau und überkritisch hinzuschauen.

Zugleich zeigen die Fenster auch – und in dieser Welt soll alles, was nicht zugleich besprochen wird, das einfach nur da ist, immer auch etwas zeigen – die Fenster zeigen wie überaus offen man sei. Und dann sieht es so aus: „Missgünstig spähen die Nachbarn durch ihre bodentiefen Fenster.“

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Bin im Garten

Barbara Frischmuth
Der unwiderstehliche Garten
Eine Beziehungsgeschichte
Aufbau 2015

Der Garten ist ein besonderer Ort, allen anderen Orten unvergleichbar. Der Garten ist ein wenig wie ein Wohnzimmer, wenn er nicht enorm groß ist oder außerhalb liegt, sondern am Haus. Ein Wohnzimmer, das sich ständig verändert. Der Garten ist ein Lebensraum wie wir: im Drift. Er verändert unser Leben dadurch, dass er in unser Leben hineinwächst.

„Vielleicht ist es gerade dieser ununterbrochene Wechsel von Distanz und Nähe,“ schreibt Barbara Frischmuth an einer Stelle, „von Jäten und Pflanzen, von Welken und Wachsen, von Kampfbereitschaft und Friedfertigkeit, von Erregung und Gelassenheit, was den Garten ausmacht.“

Wir stehen nicht allein im Garten, sondern der Garten steht in uns. Und in ihm sind wir auch an uns aktiv, mal winterhart, mal Rhizome bildend, mal feuchtigkeitsliebend. Was wir im Garten behandeln, ist immer auch Selbstbehandlung. Und irgendwann mag man dann nicht mehr umgetopft werden.