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Da war was

Douwe Draaisma
Das Buch des Vergessens
Warum Träume so schnell verloren gehen und
Erinnerungen sich ständig verändern
Galiani 2012

Bei bestimmten Sachen, dem Dreisatz beispielsweise, weiß man noch ganz genau, wer ihn erklärt hat. Da ist das Wissen im autobiografischen Gedächtnis aufbewahrt. Die allermeisten Informationen aber werden, wenn überhaupt, im semantischen Gedächtnis abgespeichert. Wissen ist in der Regel keine Erinnerung.

Wenn man vermeiden möchte, dass die eigene Idee, die man im Kollegenkreis erläutert, ins bloß semantische Gedächtnis abwandert, also, wie man bei Draaisma lernt, der Kryptomnesie zum Opfer fällt, dann lasse man sich etwas einfallen, das die Idee in einen ungewöhnlichen Kontext stellt: auf den Tisch hauen, sich die Haare raufen, den Sitznachbarn kneifen.

Draaismas Bücher sind so randvoll wunderbarer Beobachtungen. Wie schon in Geist auf Abwegen von 2008 und die Heimwehfabrik von 2009 ist auch dieses Buch von einer nahezu klassischen Abgeklärtheit. Den Beobachtungen zum Phänomen des Vergessens stellt er Erläuterungen an die Seite, wie man zur Probe etwas ans Licht hält, aber erst einmal beiseite legt, um es vielleicht später noch einmal zur Hand zu nehmen.

Selten will Draaisma etwas beweisen. Aus den historisch gewordenen Erklärungen der Psychologiegeschichte, für die er an der Universität Groningen einen Lehrstuhl hat, weiß er mit großer Gelassenheit zu berichten. Vielleicht weil er weiß, wieviel wir wieder vergessen?

Um Kryptomnesie zu vermeiden, kann man sich dieses Buch kaufen und an den Stellen, von denen man sicherstellen möchte, dass man sich erinnert, sie von Draaisma zu haben, ein Eselsohr machen.

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Das beste Sachbuch und die besten Sachbücher 2012

Ausgezeichnet werden für das Jahr 2012 Bücher in den folgenden Kategorien: erzählendes zeitgeschichtliches Sachbuch, erzählendes historisches Sachbuch, erzählendes naturwissenschaftliches Sachbuch, Bildsachbuch, Reportage, Essay, Biografie und Ratgeber.

Die besten deutschsprachigen Sachbücher des Jahres wurden bereits 2008, 2009, 2010 und 2011 präsentiert. Ein Preisgeld steht nicht zur Verfügung. Jury: Michael Schikowski.

Das beste Sachbuch des Jahres 2012:

Rainer Merkel
Das Unglück der anderen
Kosovo, Liberia, Afghanistan
S. Fischer 2012

Rainer Merkel schreibt über das Trauma. Das Trauma ist ohne Dauer, ohne Spur, ohne Gedächtnis. Eine Auslöschung der Chronologie. Merkel gelingt es, dies in seinem großartigen Buch sprachlich nachzustellen. Der Traumatologe ist sich immer selbst der Nächste.

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In der Kategorie
bestes erzählendes zeitgeschichtliches Sachbuch:

Michael Horeni
Die Brüder Boateng
Tropen 2012

Michael Horeni hat über die Bedingungen von Karrieren ein Buch geschrieben. Es ist großartig geschrieben, einfach und klar und höchst intelligent gebaut. An der Brüdern Boateng, George, Kevin und Jérome, zeigt Horeni die Lebensläufe entlang an einer Linie. Man könnte sie die Eisdecke des sozialen Aufstiegs nennen. Zur ausführlichen Besprechung hier.

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In der Kategorie
bestes erzählendes historisches Sachbuch:

Florian Illies
1913
Der Sommer des Jahrhunderts
S. Fischer 2012

Ein elegant gestaltetes und gelungenes Sample des Jahres 1913, lebensnah und jenseits der historischen Schinken.
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In der Kategorie
bestes erzählendes naturwissenschaftliches Sachbuch:

Lennart Pyritz
Madagaskar
Von Makis und Menschen
Springer Spektrum 2012

Lennart Pyritz kam als Primatenforscher nach Madagaskar und fand eine Insel vor, die eine eigene politische Geschichte und Kultur besitzt. All dies schildert sein Buch auch mit Hilfe anderer höchst kompetener Beiträger. Mit einem dicken Tagebuch voller Erlebnisse kam er zurück und machte aus all dem ein großartig bebildertes und alle Facetten des Landes darstellendes Buch.
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In der Kategorie
bestes Bildsachbuch:

Dagmar Röhrlich
Urmeer
Die Entstehung des Lebens
mare 2012

Wie „Tiefsee“ ist auch dieses reich und schön bebilderte Buch über das Urmeer ein Haus- und Lesebuch im besten Sinne. Das Radio, für das Dagmar Röhrlich arbeitet, hört man mit. Ein Sound, der sofort in den Bann zieht.

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In der Kategorie
beste Reportage:

Annett Gröschner
Mit der Linie 4 um die Welt
DVA 2012

Unprätentiös, wie die Wahl der schnöden 4, ist das ganze wunderbare Buch, immer genau und niemals literarisch künstlich aufgebrezelt. Man liest und liest. Und dann ruckelt’s doch. Endstation! Ach!

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In der Kategorie
bester Essay:

Bernd Brunner
Die Kunst des Liegens
Handbuch der horizontalen Lebensform
Galiani 2012

Wenn man das gewöhnliche Herumliegen nur etwas höherlegen möchte, dann greife man zu Bernd Brunners ‚Kunst der Liegens‘ als einen gescheiten kulturgeschichtlichen Essay.

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In der Kategorie
beste Biografie:

Jörg Magenau
Brüder unterm Sternenzelt
Friedrich Georg und Ernst Jünger
Klett-Cotta 2012

Die Nähe zu Größen ist immer gefährlich, allemal zu solchen wie Friedrich Georg und Ernst Jünger welche sind, Magier für die einen, Zundelfrieder für die anderen. Jörg Magenau ist all dem gewachsen und kommt ihnen näher, in einer eigenständigen und doch angemessen nahen Doppelbiographie: als Erzählung.

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In der Kategorie
bester Ratgeber:

Constanze Kleis
Sterben Sie bloß nicht im Sommer
und andere Wahrheiten, die Sie über Ihr Ende wissen sollten
Dumont 2012

Sterben müssen wir alle. Sich darauf vorzubereiten, hilft dieses Buch. Vielleicht geht es bald in der eigenen Umgebung los? Dann ist man bald selbst dran. Und weiß zugleich: das Lesen über Sterben und Tod ist ohne Trainingseffekt.

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Hier zum besten Sachbuch und den besten Sachbüchern des Jahres 2014, des Jahres 2013, des Jahres 2011, des Jahres 2010, des Jahres 2009 und des Jahres 2008.

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Preis der Leipziger Buchmesse 2011

In der Kategorie bestes Sachbuch/Essayistik
erhielt den Preis der Leipziger Buchmesse 2011:

Henning Ritter
Notizhefte
Berlin Verlag 2010

Zur Besprechung des Buches unter dem Titel
In Grauwacke gemeißelt hier.

Weiterhin nominiert waren in der Rubrik Sachbuch/Essayistik:

Patrick Bahners
Die Panikmacher.
Die deutsche Angst vor dem Islam.
Eine Streitschrift
C.H. Beck 2011

Zur Besprechung des Buches unter dem Titel Migration als Ware hier.


Andrea Böhm
Gott und die Krokodile.
Eine Reise durch den Kongo
Pantheon Verlag 2010

Karen Duve
Anständig essen.
Ein Selbstversuch
Galiani Verlag 2010

Marie Luise Knott
Verlernen.
Denkwege bei Hannah Arendt
Matthes Seitz 2010

Ein attraktiver kulturgeschichtlicher Essay, ebenso knapp wie klar. Gelassen und humorvoll wie die Arendt, nicht zuletzt durch die dem Buch mitgegebenen wunderbaren Bildsprachspiele von Nanne Meyer.

Zum Preis der Leipziger Buchmesse 2010.