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David Runciman
So endet die Demokratie
Campus 2020
So endet die Demokratie? Inzwischen sind wir in unserer gesellschaftspolitischen Orientierung so befangen, dass dieser Buchtitel fast anstößig wirkt. Eine irrationale und fast wortmagische Vorstellung. Als sei das bloße Nachdenken über ein Ende der Demokratie schon der Anfang vom Ende. Im Gegenteil, so behauptet Runciman, in der Weigerung diesen Gedanken auch nur zuzulassen, sind gerade die Verteidiger der Demokratie auf verlorenem Posten.
Die Demokratie scheint also von zwei Seiten bedroht. Von ihren Gegnern und von denjenigen, die im Staatshandeln immer schon eine sogenannte „gelenkte Demokratie“ entdecken wollen. Die Corona-Krise lässt außerdem erkennen, und die chinesische Führung lässt keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass sich die Bevölkerung demokratischer Gesellschaften nur schwer überzeugen lässt, auf die Bedrohung durch Ereignisse zu fokussieren, die noch nicht eingetreten sind. Wähler, so Runciman, räumen tendenziell eher dem, was sie kennen, Priorität ein. So nachzulesen in einem Kapitel, das Runciman Katastrophe überschrieben hat.
Die Gegenmodelle, die statt der Demokratie zur Verfügung stehen, zieht Runciman auf folgende Vertauschung der Schwerpunkte zusammen: Anstelle persönlicher Achtung und kollektiver Vorteile versprechen sie persönliche Vorteile und kollektive Achtung. Die erneuerten nationalen Rituale, die sich in China und Russland zeigen, mögen für die kollektive Achtung stehen. Und die persönlichen Vorteile sind die Steuerungselemente, die gerade in Polen und Ungarn den Übergang zu einer postdemokratischen Gesellschaft erleichtern.
Die Untergangspropheten der letzten Jahrzehnte, man sieht sie sich schon die Hände reiben. Und wenn das Desaster nicht eintrifft, so warten sie einfach auf die nächsten Kennzeichen, die die Erfüllung ihrer Prognose anzeigen. Zu den Propheten des Untergangs der Demokratie zählt allerdings auch längst die Technikelite. Runciman zitiert Alessio Piergiacomi, einen Softwareentwickler bei Amazon: Jahr für Jahr werden die Durchschnittsmenschen dümmer und die Politiker betrügerischer. Auf der anderen Seite werden Computer alljährlich intelligenter. Letztlich wird es klüger sein, sie die Entscheidungen treffen und uns von ihnen regieren zu lassen.
Letztlich, so kann man entgegnen, wird es noch ein wenig klüger sein, Runciman zu lesen. Eine echte intellektuelle Rosskur vor heiklen Generaldebatten.
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Stephen Graham
Die Kunst des stilvollen Wanderns
Ein philosophischer Wegweiser
HarperCollins 2020
Welche Erleichterung, der Rolle des Wählers und Steuerzahlers, des Experten für Messingantiquitäten, des Bruders eines Experten für Messingantiquitäten, des Autors eines Bestsellers oder Onkels des Bestsellerautors zu entfliehen. Welche Erleichterung, eine Zeit lang kein Verwaltungsbeamter der Besoldungsgruppe soundso mehr zu sein, der die höchste Beförderungsstufe bereits erreicht hat, nicht mehr nach dem Einkommen oder Gold-Handicap beurteilt zu werden. Ohne Zweifel ist es ein köstlicher Augenblick, wenn der Gärtner, der einen in Wanderkluft daherkommen sieht, nicht zum Gruß an den Hut tippt, wenn man an ihm vorübergeht. Es wäre ein Fehler, sich in nagelneuen Kniebundhosen, Sportjackett, Krawatte und juwelenbesetzter Krawattennadel, mit Gamaschen und einem Stock mit silbernem Knauf in die Wildnis aufzumachen. Die Visitenkarten sollte man ebenfalls zu Hause lassen und versuchen, das Haus mit den drei Etagen zu vergessen. (Stephen Graham, S. 15)
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Manfred Quiring
Russland – Auferstehung einer Weltmacht?
Ch. Links Verlag 2020
Manfred Quiring ist der Idee des kritischen Journalismus verpflichtet. Wenn er über Russland schreibt, dann schreibt er nach diesen Regeln (Vorortrecherche, Gegenchecken, Quellenangabe) über ein Land, das dieser Idee des Journalismus längst abgeschworen hat.
Eine Haltung, die das schlüssige Argument durch fragwürdige Schnippchen, Volten und Drehungen ersetzt hat. Was im Übrigen gar nicht geleugnet wird, da man die Niedertracht, die es dazu braucht, längst für eine Funktion des brusterweiternden Gefühls der Überlegenheit hält. Mit erstaunt aufgerissenen Augen wird einem dann Naivität bescheinigt. Eine Haltung, die auch hierzulande bis in private Diskussionen vorgedrungen scheint. Hinzu kommt eine Relativität der Meinungen, die gut demokratisch jede gleich berechtige und darum also auch jede bestehen lassen müsse. Dies ausnützend, wird dann jede Information zum Projektil des Informationskriegs.
Damit positioniert sich Quiring anders als der frühere Ministerpräsident Brandenburgs, Matthias Platzeck, der mit seinem bei Propyläen erschienenen Buch die Konfrontation in einen Dialog auf Augenhöhe zu verwandeln versucht. In Hinsicht der diplomatischen Fragen ist das gewiss richtig. In den Niederungen des Alltags aber hat Quiring es mit Gesprächspartnern zu tun, die die Merkmale des seit 1999 herrschenden Putinismus, Klientelismus, Korruption und Rentenökonomie, schlicht leugnen.
Mit Hilfe seiner loyalen Helfer, schreibt Quiring über Putin, kontrolliert er praktisch alle und alles: den Staatsapparat, die Geheimdienste, die keiner parlamentarischen Kontrolle unterworfen sind, die Justiz und die Staatsunternehmen, deren Anteil an der Wirtschaftsleistung seit 2005 stetig zunimmt. Selbst die Privatwirtschaft untersteht der Kuratel des Kremls, der mit Hilfe willfähriger Sicherheitsdienste und Richter das Recht auf Privateigentum praktisch aufgehoben hat. Auch private Unternehmen sind in Putins Russland letztlich nur Lehen.
Das wenigstens in Ansätzen zu sehen oder auch nur mit zu sehen, ist in Russland kaum möglich. Denn Russland führt den Informationskrieg außen und innen. Jede abweichende Meinung muss sofort öffentlich sanktioniert werden. Die Sanktion ist damit die Nachricht der Putinisten. Je wehrloser, je harmloser, je weniger gefährlich der Gegner, je unterschiedlicher, ja gelegentlich absurder das Kräfteverhältnis, desto deutlicher die Drohung. Über der Schlagersängerin Laima Waikule brach, nachdem sie öffentlich sagte, dass sie für kein Geld der Welt auf der von Russland okkupierten Krim auftreten wolle, ein, wie Quiring schreibt, Hass-Sturm los.
Auf dem Cover des Buches wird in einer Montage von russischen Soldaten Russland in Großbuchstaben an die Wand geschrieben. Russland wird in Serifen zur Großmacht. Auf welcher Grundlage geschieht das? Von Quiring werden die Jahre des Putinismus übersichtlich klar berichtet. Beim Ertrag der vielen außen- und innenpolitischen Manöver ist Quiring skeptisch. Von wirtschaftlichem Erfolg kann nach ihm keine Rede sein. Quiring fällt dazu das russische Wort Pokasucha ein: So tun, als ob.