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Mütterroman

Anke Stelling
Bodentiefe Fenster
Roman
Verbrecher 2015

Die Mutter der Heldin Sandra gehört zu der Generation, die es einmal besser haben sollte. Sie hatte es besser. Sandra aber, inzwischen selbst Mutter von zwei Kindern und mit ihrem Mann Hendrik in einem Gemeinschaftshaus lebend, sollte es besser machen. Und wie genau das gehen sollte, wussten die Mütter.

Sandra versucht nichts weniger, als ihr Leben und ihre Sicht auf Menschen und Dinge auf der Grundlage eines Bauplans zu errichten, den ihre Elterngeneration entwickelt hat. Der Bauplan der Familie als einer solidarischen Gemeinschaft. Und der Bauplan um die Familie herum, ein Gemeinschaftshaus mit Gemeinschaftsräumen, einem Gemeinschaftsgarten und einem wöchentlichen Plenum.

„Aber die bodentiefen Fenster erschweren, ehrlich gesagt, das Einrichten, zumindest, wenn man nicht schon bei der Grundrisserstellung wusste, wer wo schlafen soll und mit wie vielen Menschen und Möbeln man einzieht. Die Fenster verlangen ein schlüssiges Gesamtkonzept.“

Der Unterschied von Komödie und Tragödie hängt an der Heldin. Sieht sie nicht worauf es hinausläuft, ist das tragisch. Sieht sie es aber, und Sandra sieht es sehr genau, übergenau, dann wird es komisch. Und doch ist das Buch keines, in dem die Beziehungen zu Nachbarn, Geschwistern und Freundinnen, zu Männern und zu Kindern, zu Erzieherinnen und den Eltern, von denen ausschließlich aus der Perspektive von Sandra die Rede ist, auf eine bloß frotzelnde Art ertragen und am Laufen gehalten werden.

Bei Anke Stelling löst sich nichts in Lachen auf, ihre Dosis an Humor ist zu fein dosiert, als dass sie ein befreites Lachen auslöst. Gewiss, der Alltag von Sandra ist nicht so schrecklich, dass er nicht auch zum Lachen wäre, aber an keiner Stelle verliert das Lachhafte seinen Schrecken, den Schrecken einer weichen Falle.

Im Gegenteil, die kommunikative Komplexität der Welt wird durch die Tatsache, dass alle Komplexität sich eigentlich nur dem Reden verdankt, weiter gesteigert. Das überrascht diese Generation, die nicht aufhört zu quatschen, war sie doch in dem Glauben erzogen worden, dass allein reden hilft, immer. Alles Reden aber zieht nur Reden nach sich.

Wer nicht redet, ist allein. „Im Reden konstituiert sich unsere Gemeinschaft“, schreibt Anke Stelling. Im Reinreden auch. Auch im sich selbst Reinreden, wie es Sandra und ihre Selbstzweifel, ihre genauen und komischen Beobachtungen, ihre verbalen tagträumenden Ausraster zeigen. „Meine Angst, meine Träume, meine verfluchten, bodentiefen Fenster.“ Die längst verinnerlichten Werte der Elterngeneration.

Ein großartiger Unterhaltungsroman, wahrhaftig und witzig. Ein Buch, das Spaß macht, aber keine Späße. Der Roman der Kinderladengeneration, die nun, selbst im Alter der Eltern damals, mit den bodentiefen Fenstern mehr Licht in die Räume lässt. Um nur noch genauer, übergenau und überkritisch hinzuschauen.

Zugleich zeigen die Fenster auch – und in dieser Welt soll alles, was nicht zugleich besprochen wird, das einfach nur da ist, immer auch etwas zeigen – die Fenster zeigen wie überaus offen man sei. Und dann sieht es so aus: „Missgünstig spähen die Nachbarn durch ihre bodentiefen Fenster.“