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Das Sachbuch als Zeitraffer

Peter Wende
Das britische Empire
Beck 2008

Ich verlange von Sachbuchautoren ja nicht immer und überall die Erzählung aus eigenem Erleben. Wie sollte das bei historischen Stoffen auch möglich sein? Ich gehe allerdings auch jede Wette ein, dass Peter Wende keinen blassen Schimmer davon hat, welche Manöver dazu gehören, ein feindliches Segelschiff zu kapern.

Das britische Empire ist ein durch und nur durch die Seefahrt errichtetes Empire. Wenn er es also doch weiß, halte ich es für absolut unverzeihlich, dass er uns das nicht mitteilt. Mein Urteil: Schicken wir ihn als Fischfutter über die Planke!
Doch wir wollen gnädig sein. Es rettet ihn etwas. Er bedient eben nicht unsere szenische Detailversessenheit, sondern versucht im Gegenteil etwas ganz anderes: die Schilderung der Entwicklung des britischen Weltreichs auf gerade mal 350 Seiten. Es ist diese Art Zeitraffer, die die besondere Bedeutung des Buchs ausmacht. Denn wenn der Autor gar nicht das Ziel hatte, jedes Detail zu schildern, wie kommt er dann möglichst schnell um die nächste Ecke, an der wir bereits wieder ein paar Jahrzehnte weiter sind? Im Hintergrund von nur wenigen Sätzen dieses Buches, das glaube ich, sind unzählige Details verarbeitet; dass wir diese nicht erzählt bekommen, hat nichts damit zu tun, dass Peter Wende sie nicht doch parat haben könnte. Aber schade ist es doch!
Das Sachbuch von Peter Wende als Zeitraffer ist also auch Zeitkunst und darum dem detailversessenen Leser, wie ich einer bin, und übrigens auch dem detailversessenen Nutzer des Internets haushoch überlegen.

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Der Mann mit der Mütze

Jacques Cousteau
Der Mensch, die Orchidee und der Oktopus
Campus 2008

Als ich ein kleiner Junge war, bekam ich ein Buch von Jacques Cousteau geschenkt, an das ich mich noch heute erinnere. Während aber andere, und zwar sehr, sehr viele durch Jacques Cousteau ihre bis heute andauernde Leidenschaft für’s Tauchen entdeckten, beeindruckte mich vor allem Cousteaus Erzählung von den Wein-Amphoren – ich war schon früh an Experimenten, die mit Alkohol zu tun hatten interessiert – von römischen Wein-Amphoren, die er aus dem Mittelmeer fischte, und – natürlich nur aus wissenschaftlichem Interesse am Zustand des Weins interessiert – gemeinsam mit seinen Begleitern verköstigte. – Na ja, wie man weiß, überlebten sie.
Jacques Cousteau beeindruckte vielleicht auch darum so viele, weil er die Träume in die Realität umsetzte, die wir alle bei Jules Verne träumten. Doch geht Jacques Cousteau weit über Jules Verne hinaus, denn in ihm verbindet sich die Begeisterung für Technik mit dem Naturschutz.
Jacques Cousteau widmete sein Leben der Welt der Meere, zu deren Entdeckung und Erforschung am Anfang kaum die einfachsten technischen Voraussetzungen erfüllt waren. So entwickelt Jacques Cousteau die Aqualunge und den Trockenanzug.
An vielen Stellen des Buches aber geht es genau nicht um wilde Abenteuerlust, bei der man sich zum Beispiel mit verdorbenen Wein aus römischen Amphoren vergiftet oder mutwillig einem Haiangriff aussetzt. Vielmehr – und da verbinden sich bei Cousteau Forschung und Natur, Neugier und Respekt – vielmehr geht es ihm immer wieder um die realistische Abschätzung des Risikos. Die kritische Abschätzung des Risikos in Hinsicht technischer Innovationen, die Cousteau zu einem der ersten und erfolgreichsten Umweltschützer macht, und im Alltag eines Tauchers bei den Kapverdischen Inseln.

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Beobachten und beschreiben

Douwe Draaisma
Geist auf Abwegen
Eichborn 2008

Draaisma schreibt hier nichts weniger als das Lexikon der Eponyma der Nervenkrankheiten. Ein Eponym ist ein Eigenname, der zu einem Gattungsnamen geworden ist. Alzheimer zum Beispiel. Der Vorname nicht nur, die ganze Biografie, manchmal die Tatsache, dass das „jemand“ gewesen sein könnte, ist dabei vollständig in Vergessenheit geraten. Was Draaisma aus diesen vergessenen Eponyma macht ist eine bewundernswert gut geschriebene Hagio-, nein Medicografie.

Mediziner haben dabei unseren Körper, seine Teile, seine Defekte, Syndrome und Reaktionen buchstäblich mit ihren Namen vollständig kolonisiert. Dabei konzentriert sich Draaisma auf die Eponyma der Nerven- und Hirnforschung, von ihm wiederentdeckt werden: z.B. Parkinson, Korsakow, Tourette und Asperger. Draaisma führt uns dabei in das Herz des Wissenschaftsbetriebs, in dem Ehre und Ansehen auf dem Spiel stehen. Der Schwerpunkt seiner Auswahl liegt im 19. Jahrhundert, da später vor allem beschreibende Bezeichnungen oder Abkürzungen – das Team hat mehr Bedeutung als die individuelle Verewigung – verwendet werden. Wer aber Eponyma vergibt, ist der Meister aller und das war unbestritten Jean-Martin Charcot, dessen Biografie sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Wir erfahren aber auch, worin die überragende Bedeutung dieser Ärzte lag: in der Kunst, genau zu beobachten und anschaulich zu beschreiben. So entstehen bei Draaisma Kurzbiografien, die sich der schriftstellerischen Kunst der darin beschriebenen Ärzte, jederzeit gewachsen zeigen.