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Des tiefen Eindrucks mangelnder Ausdruck: Empörung

Günter Wallraff
Aus der schönen neuen Welt
Expeditionen ins Landesinnere
Kiepenheuer & Witsch 2009

„Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,
Gab mir ein Gott zu sagen, wie ich leide.“
So Goethe im Tasso. Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab Gott ihm Wallraff. So noch im legendären Buch „Ganz unten“ von 1985. Wenn aber eine Methode eine Vorgehensweise ist, die sich ihrem Gegenstand anpasst, dann hat Wallraff sie für sein neues Buch genau verfehlt.

Denn erscheinen nicht längst die Berichte der schikanierten Kassiererinnen und Sekretärinnen von ihnen selbst verfasst? Manchmal werden sie mit Hilfe eines Journalisten geschrieben, wie bei den von Fernsehproduktionsfirmen ausgebeuteten Teilnehmern von Castingshows oder die Berichte über die mal kriminellen und mal politischen Karrieren der Migranten in Deutschland. „Wallraffa“, wie die Schweden sagen, wäre dorthin zu gehen, wo die Kreise sich dem Einblick verschließen oder nicht zu Sprache zu bringen vermögen, wie ihnen geschieht.

Diese Voraussetzung nicht allein fehlt bei Wallraffs neuem Buch, wie schon an vielen anderen Stellen festgestellt wurde, schlimmer ist, dass Wallraff sprachlich nicht in der Lage scheint, in seinen Reportagen irgendetwas anderes auszudrücken als Empörung. Ihm fehlen im Grunde alle sprachlichen Mittel der Darstellung und Analyse. Vielleicht erschienen Wallraff aber Stilmittel als Verrat an der guten Sache?

Wer wie Wallraff glaubt, dass er nur unmittelbar einen Eindruck gewinnen kann, der muss über die Hilfsmittel verfügen, die ihm diesen Eindruck verschaffen. Bedauerlich nicht nur für die Leser, dass er dann meint, beim Ausdruck auf alle sprachlichen Darstellungsmittel verzichten zu können.

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Ein Journalistenleben

Wilhelm von Sternburg
Joseph Roth
Kiepenheuer & Witsch 2009

In Gustav Kiepenheuer, einem der wichtigsten Verleger der Weimarer Republik, fand Joseph Roth den Verleger seines Werks, bis heute. So folgt mancher Verlagskontinuität auch eine Werkkontinuität, von der man nicht immer weiß, ob letztere auch dann gelungen wäre, wenn der Verlag nicht bis heute wirtschaftlich überlebt hätte. Wilhelm von Sternburg ist eine sprachlich solide und darum hervorragend lesbare Biografie gelungen. An keiner Stelle ist er um die historische Einordnung dieses wenig gerade verlaufenden Lebens des Schriftstellers Joseph Roth verlegen. Sternburg hat es an keiner Stelle nötig, die Eigentümlichkeiten in Roths politischen Auffassungen zu beschönigen oder gar als unwesentlich hintenan zu stellen. Auch den Suff, dem sich Roth mit suizidaler Konsequenz ergab, kann Wilhelm von Sternburg – wie es vielleicht ein Germanist getan hätte – sich nicht entschließen zu überhöhen. Sternburg ist Journalist und dankenswerter Weise auch ein Biograf des Journalisten Joseph Roth.

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Kolportage und Reportage

Volker Weidermann
Das Buch der verbrannten Bücher
Kiepenheuer & Witsch 2008

Flott erzählt ist ein recht zwiespältiges Lob, ungefähr so wie ältere Damen das Kompliment einer flotten Frisur machen. Es ist aber so, das Buch von Volker Weidermann über die verbrannten Bücher. Flott und schnell, wie die letzten Jahre der Weimarer Republik.
Schnell und scharf war das, was Hans Sahl Abträgliches über Emil Ludwig zu hinterbringen wußte, was Thomas Mann Perfides über Arthur Holitscher zu schreiben verstand und was Kurt Tucholsky an fast alle anderen auszusetzen hatte. Wir lesen es bei Weidermann alles nochmals, womit dann wieder mancher glauben mag, Ludwig, Holitscher und viele andere lohnten es nicht, gelesen zu werden.
Auch ist dieses Buch, das sich als Dokument gegen das Vergessen vorstellt, nicht selten genau darin zwiespältig, insofern allzuviele Bücher von Weidermann als vollkommen zu recht vergessen erklärt werden. Dies betrifft vor allem die Romane und liegt u.a. auch daran, dass Weidermann grundsätzlich alle Autoren der ersten schwarzen Liste der „Schönen Literatur“ beschreibt. Was dann allerdings gelegentlich dazu führt, dass er nur daran erinnert, etwas zu vergessen.
Jedoch bei Weidermann finden sich nicht weniger als dreissig Sachbücher, auch wenn er selbst nur Heinrich Eduard Jacobs Sage und Siegeszug des Kaffee als Sachbuch bezeichnet – vermutlich aber deshalb, weil dieser bekanntermaßen von sich behauptete, der Erfinder dieser Gattung zu sein.

Die Urteile damals und heute machen Weidermann nicht weiter strubbelig, denn von ihm wird nichts gegen den Strich gekämmt, nichts umfrisiert, nichts anders gescheitelt. Die Innung ist’s zufrieden.

In diesem Zusammenhang auch der Hinweis auf Jürgen Serke, den Weidermann „Reporter“ nennt und der bereits 1976 begann, die verbrannten Dichter und Dichterinnen aufzusuchen und über ihre Bücher und ihr Schicksal Reportagen schrieb, diese dann aber in einem sehr erfolgreichen Buch veröffentlichte. Dergleichen blieb für den Nachruhm einiger Autoren nicht folgenlos, wie zum Beispiel Irmgard Keun, der Serke laut Weidermann „sonderbar umjubelte letzte Lebensjahre beschert“ habe, ein nicht kleines, sondern wunderbares Verdienst Jürgen Serkes. Als Dauerausstellung „Himmel und Hölle“ ist seine Sammlung nun im Museum Baden in Solingen-Gräfrath zu besichtigen. Den Schriftstellerinnen widmet sich übrigens das Buch „Die verbrannten Dichterinnen“ von Edda Ziegler, Artemis & Winkler 2007