// 2014

// Bücher

Wirtschaft macht Politik macht Diktatur

Dave Eggers
Der Circle
Roman
Kiepenheuer und Witsch 2014

Es so weit zu bringen, dass uns natürliche Verhältnisse als sonderbar und merkwürdig vorkommen, dass wir uns ihnen entfremden, ist der erste Schritt. Der zweite ist dann, uns die natürlichen Verhältnisse als Produkt zu verkaufen.

Bei Mae Holland hat es der neue Arbeitgeber geschafft, ihr den natürlichen Zustand des Nichtwissens und der Unsicherheit fremd werden zu lassen. Der offene Horizont unserer Möglichkeiten und Entscheidungen wird im System der Firma Circle, die man sich als Zusammenschluss von Google, Facebook u.a. vorstellen muss, geschlossen.

Dabei schreibt Dave Eggers keine spektakuläre science fiction, ganz im Gegenteil, Mae ist ein Mittelstandskind durch und durch, mit alt werdenden Eltern, mit am Heimatort zurückgelassen Freunden, mit neuen Zielen. Aus der Tristesse des öffentlichen Dienstes, seinen Problemen und Hindernissen, wechselt Mae zum internationalen Konzern und ist überglücklich.

Eggers hat sich die Argumentation der Konzerne, die immer Verkaufsgespräch ist, sehr genau angesehen. Er imitiert sie überaus raffiniert, ohne in Parodie zu verfallen. So bietet der Roman alles was den normalen Arbeitsalltag auch schon heute prägen mag: die stets Bestätigung heischenden Rückfragen, die genau austarierten einzelnen Stufen der Arbeitsbelastung und zuletzt die nur noch schnoddrig geforderte Opferung des letzten Rests an Privatlebens.

Der Circle bildet, der Name legt’s nahe, einen geschlossenen Kreis, ein geschlossenes Interaktionssystem, ein Luhmann’scher Kosmos, in dem das System nur noch mit sich selbst kommuniziert. Ein System, das seine Akteure komplett verschlingt, von denen buchstäblich nichts mehr nach außen dringt. Der Kreis schließt sich, wird total und totalitär. Im Unterschied dazu wie man sich zum Teil heute noch Silicon Valley als Opitimierung durch Technik vorstellt – besonders ärgerlich und naiv die Garagenbastlergeschichten – ist es längst die Wirtschaft, die sich der Technik bedient, die, auf Politik erweitert, in der Diktatur endet. Und dahin strebt.

Mae ist gerne im Kajak auf dem Wasser unterwegs. Manchmal sitzt sie, das Paddel auf dem Schoß, nur im Kajak und lässt sich treiben, mit dem Bewusstsein über unbekannte Tiere hinwegzuschweben. „Sie waren verborgen im dunklen Wasser, in ihrer schwarzen Parallelwelt, und zu wissen, dass sie da waren, aber nicht zu wissen, wo, oder im Grunde auch sonst nichts zu wissen, fühlte sich in diesem Moment seltsam richtig an.“ Mae wird lernen, es unerträglich zu finden.

// Bücher

Der ganze Krieg

Jean Echenoz
14
Roman
Hanser Berlin 2014

Jean Echenoz zeigt, dass voluminöse Gesamtdarstellungen den Krieg verfehlen können, insofern ihre Autoren, irgendwie unentschieden darüber, was wirklich wichtig ist, alles zu Papier bringen, was ja noch anginge, wenn nicht dann auch der Verlag, unentschieden wie der Autor, sich entscheidet, einfach alles zu drucken, damit es nachher nicht heißt, dass etwas fehlt. Hier der Erste Weltkrieg in einer kurzen Erzählung von fünf Schicksalen, vollständig, kurz und schmerzvoll.

// Bücher

Fiesling, Fremdling, Freundling

Christoph Poschenrieder
Das Sandkorn
Roman
Diogenes 2014

Jacob Tolmeyn ist promovierter Kunsthistoriker in Rom am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Zusammen mit Beat Imboden ist er beauftragt, die unteritalienischen Provinzen, vor allem aber Apulien, kunsthistorisch zu erfassen.

Als Opfer einer Erpressung verschwindet Tolmeyn aus Berlin. Erpressung ist auf der Grundlage des Paragrafs 175, der Homosexualität unter Strafe stellte, keine Seltenheit. Einer der stadtbekannten Erpresser, der auch Freundlinge genannten Homosexuellen, verunglückt in Berlin unter fragwürdigen Umständen.

Tomeyn ist an diesem Unglück nicht ganz unschuldig. Als er später zurück nach Berlin kommt und sich auffällig verhält, wird er verhaftet und verhört. Das Verhör findet durch einen weithin bekannten Ermittler in Fällen von Erpressung statt, dessen Erinnerungen an das Verhör von Tolmeyn in den Roman einmontiert sind.

Poschenrieder ist das Kunststück gelungen, einen faszinierenden Roman mit mehreren kulturpolitischen, geschichtspolitischen und geschlechtspolitischen Ebenen zugleich zu schreiben, Ebenen, die er ebenso voneinander abzuheben wie zu spiegeln vermag.

Der besondere Reiz dieses Romans ist, dass der Held eigentlich ein Rätsel für uns bleibt wie für diesen sein Begleiter Beat Imboden, ehemaliger Gardist der Schweizer Garde. Ein Rätsel wie die von ihm erforschte Zeit, in der das Castel del Monte in Apulien entstand und wie die entfachte Kriegskultur im fernen Deutschland.

„Wissen Sie,“ sagt er in der Vernehmung einmal, „dass jedes Sandkorn ein Gesicht hat?“ Der Kommissar kann nicht anders, als eine Augenbraue hochzuziehen. „Dass kein Sandkorn dem anderen gleich?“