// 2014

// Bücher

Witschs Welt

Frank Möller
Das Buch Witsch
Das schwindelerregende Leben des Verlegers Joseph Caspar Witsch
Kiepenheuer und Witsch 2014

In einer dem Buch mitgegebenen Nachbetrachtung schreibt Frank Möller, dass sein Buch ursprünglich auf 250 Seiten geplant war. Dass es dann über 700 Seiten wurden, ist allerdings nicht auf den Autor zurückzuführen, sondern auf uns, seine Leser:

„Vieles ließ sich auch nur schwer erklären, ohne Vorangegangenes zu berücksichtigen. Wie wollte man zum Beispiel Witschs rigiden Antikommunismus verstehen, wenn man die Jahre 1945 bis 1948 in Jena außer Acht lassen würde? Wie den Umgang mit nationalsozialistisch belasteten Autorinnen und Autoren, ohne Witschs eigene Geschichte als oberster Volksbibliothekar Thüringens zwischen 1936 und 1945 zu kennen?“

Man sieht schon, das kleinere Buch wäre ein ziemlich typisches Kiwi-Buch geworden, hell und schnell. Der vorliegende Wälzer nun ist eine auf der Grundlage umfangreicher Archivarbeit zugleich fundierte und überaus gut geschriebene buchwissenschaftliche Forschungsarbeit. Einerseits, denn andererseits hat Möller die Bücher, die Witsch wichtig waren, auch gelesen und bezieht diese literaturwissenschaftlichen Erkenntnisse in seine Darstellung mit ein.

Möller gelingt es, tief in die Mentalitätsgeschichte der Verlagswelt, den Bedingungen der verlegerischen Kulturarbeit zwischen 1930 und 1970 einzudringen. Verlegerische Arbeit, das wird hier besonders deutlich, ist dabei nicht allein Beziehungsarbeit, die darauf beschränkt wäre, das was in Gesellschaft und Politik geschieht, in Büchern festzuhalten und darzustellen, sondern sie ist selbst ein gesellschaftpolitischer Beitrag.

Der Umfang von Möllers Witsch zeigt auch, wie wenig – will man das Material nicht mit Rechts-Links-Etikettierungen zukleben – bekannt die historischen Voraussetzungen des letzten Jahrhunderts und wie tief vergangen die Bedingungen dieser Buchkultur sind.

Vielleicht ist das Buch Witsch auch ein Anlass, das Verhältnis von Geschichte und Buchkultur in den Blick zu nehmen. Vielleicht ist die heutige Geschichtsvergessenheit auch Grund für die Veränderungen der Buchkultur oder, umgekehrt, das Verschwinden einer lebendigen Buchkultur, Grund für den Rückgang historischen Wissens.

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Der Kampf der Systeme

Karsten Krampitz
Wasserstand und Tauchtiefe
Roman
Verbrecher Verlag 2014

Mark Labitzke, ein Mittvierziger, unverheiratet, übergewichtig, abgebrochenes Studium der SED-Geschichte, Programmierer und ohne Stelle, erzählt von seinem Leben. Aber er erzählt es nicht eigentlich uns, sondern seinem Vater, den er zusammen mit der polnischen Krankenschwester Agnieszka pflegt. Nach dem dritten Schlaganfall ist der Vater, Karl-Heinz Labitzke, ehemals Bürgermeister von Schehrsdorf, verstummt und muss künstlich ernährt werden.

Anschaulich schildert der Roman das Totalversagen des real existierenden Sozialismus. Nun ist der Sozialismus wie der stumme Körper des Vaters: „Kein Leib, nur noch Körper. Bist nur noch ein Zitat.“ Im Gegensystem, im Kapitalismus, scheitert der Sohn, kündigt seine Stelle im Call-Center und verlegt sich auf betrügerische Vorteilsnahme gegenüber den Behörden. Der Kampf der Systeme ist längst beendet. Das eine versinkt in Schweigen, das andere verquasselt seine Zeit in der Nische des Sozialbetrugs.

Was Schehrsdorf im Speckgürtel von Berlin, eine Stadt, wie es im Roman häufiger heißt, „die keine ist“, als Ausgleich anzubieten versucht, ist wenig. So erzählt dieser Roman von den kleinen Gemeinschaften, die die großen Risse der Gesellschaft auf ebenso unvollkommene wie rührende Art zu kitten versuchen.

Karsten Krampitz gelingt aber das Kunststück – das vor ihm vor allem Robert Walser gelang – aus all dem einen heiteren, ja nahezu komischen Roman zu fabrizieren. Der freundliche Gleichmut seines Helden steckt an und man beginnt diese Gestalten von Schehrsdorf, wo Mark mit dem Vater und Agnieszka lebt, zu mögen, den Country-Verein, die freikirchlichen „Jesus-People“, Herrn Mischnik und seinen Sophienhof, der suchtkranke Senioren betreut. Ich vermisse sie jetzt schon. Was kann man über einen Roman Besseres sagen?

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„Ja, ich sah noch das Hutziehen, das Hutziehen der Lehrer“

Botho Strauß
Herkunft
Hanser 2014

An einer Stelle – und dieses Buch ist voller Stellen – spricht Strauß bei seinen Erinnerungssplittern an seine Kindheit in Bad Ems passend von „Prosascherben“. In der Sprache dieses Autors behalten alle diese Scherben ihre Farbe und Schärfe.

Und der äußere Anlass für diese Prosa ist gar nicht weit weg von dem, was derzeit viele beschäftigt. Das Altern der Eltern, ihr Umzug in ein Altersheim und die Auflösung ihrer Wohnung, in der man aufwuchs. Darin vermutlich lauter aus der Zeit gefallene Gegenstände, die mit Handlungen und Gesten verbunden sind, wie das „Hutziehen der Lehrer“ und die Utensilien eines Schreibtischs.

„Zwar kann man viele belastende Gegenstände zum Zweck des Briefebeschwerens verwenden. Man kann indessen nicht einen Briefbeschwerer zu beliebigen anderen Zwecken benutzen. Das ist die unvorteilhafte, schwache Stellung dieses nicht allzu charakteristischen Gegenstands in der Welt der anwendbaren Dinge. Leicht zu verdrängen. Schmalste Nutzbestimmung.“

Briefbeschwerer und Hutziehen, Gegenstände und Gesten leben in der Erinnerung noch ein wenig fort, um dann zu verschwinden, an der Gegenwart zu scheitern.

Elemente der Herkunft, mit schwacher Stellung haben sie noch kurzen Aufenthalt allenfalls im Medium der Kunst. „Morgen“, so heißt es am Schluss, „wird die Wohnung entrümpelt.“