// 2018

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Die verkehrte und erzählte Welt

Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Der abenteuerliche Simplicissimus Deutsch
Aus dem Deutschen des 17. Jahrhunderts von Reinhard Kaiser
Erfolgsausgabe
Die Andere Bibliothek 2018

Die Erinnerung an den 30jährigen Krieg, der im Jahre 1618 begann, rechtfertigt die Wiederauflage des von Reinhard Kaiser ‚übersetzten‘ Barockromans. Zudem ist er vor genau 350 Jahren, also 1668, zuerst erschienen. Er gilt, wenn man die knapp vierzig Seiten beiseite lässt, die eine achthundertseitige Geschichte des deutschen Romans für die Vorläufer benötigt, nicht ganz zu Unrecht als der erste deutsche Roman. Und ein Antikriegsroman ist er außerdem, zu zeigen, wie Grimmelshausen selbst ankündigt, was Krieg vor ein erschreckliches und grausames Monstrum seye.

Die verkehrte Welt, die umgestürzten Verhältnisse der Städte, der Regierung und Geschlechter geben Grimmelshausen reichlich Gelegenheit, utopische Alternativen zu formulieren. Er schreibt sie gleichsam in diese Brüche, die die Verheerungen des Krieges hinterlassen haben, hinein.

Simplicius Simplicissimus wird aus der bäuerlichen Welt in diesen europäischen Krieg gerissen, wie sein Autor zuvor. Das Ende in der Weltverneinung des Einsiedlers ist allerdings nur vorläufig. Denn der lange abenteuernde Weg des Helden und die barocke Fabulierfreude des Autors haben sich, statt sich selbst aufzuheben, längst selbstständig gemacht. Das Ziel Grimmelshausens ist also nicht dieses Ende, kann es nicht sein, denn ein moralischer Schluss ist erzählerisch ohne Reiz.

Prompt veröffentlicht Grimmelshausen selbst bereits ein Jahr später – bevor ein anderer aufspringt – eine Continuatio des Simpicissimus, die auch die Ausgabe der Anderen Bibliothek enthält. Wer einmal zu erzählen anfängt, hört wohl nicht wieder auf. Die Geschichte des Romans, die bislang auch noch nicht an ihr Ende gekommen ist, zeigt auch das.

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Für andere bauen

Jan Böttcher
Das Kaff
Roman
Aufbau 2018

In der Heimkehr schließt sich ein Kreis. Soweit ist Michael Schürtze, der Held in Jan Böttchers neuem Roman noch nicht. Er ist wiedergekommen an den Ort, den man nur verächtlich machen kann: das Kaff. Er ging aus Überdruss, am Ungenügen von jedem und allem, den Eltern, der Schwester Jul, auch an sich selbst, um endlich vom Tischler zum Architekten zu werden.

Zurückgekehrt ist er als Bauleiter – nur für den Sommer. Er kehrt an den Fluss, in die Räume und in die Strukturen seiner Kindheit zurück. Dann beginnt er, die Jugendmannschaft zu trainieren, weil er gefragt wird. Er besucht seine Schwester, die sich um Flüchtlinge kümmert, weil er gefragt wird. Er geht auf eine Abendgesellschaft mit Menschen, für die er baut, weil er gefragt wird. Gesellschaft ist, gefragt zu werden.

Eingeladen wird er von Carla, deren Sohn er in der Mannschaft trainiert. Schließlich zieht er bei ihr ein. Seine Schwester Jul macht es dann rund: Du baust für andere und ziehst selbst ein.

Als er den alten Trainingsplatz für ein sogenanntes Freundlichkeitsspiel zwischen seiner Jugendmannschaft und den Flüchtlingen wieder hergerichtet hat, ist das Ende fast perfekt. Der alte Platzwart Gerwin Münstedt meint aber: Du hast den Mittelkreis vergessen. So rund ist es doch noch nicht.