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Neues aus Schwartau

Jürgen Osterhammel
Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts
C. H. Beck 2009

Christopher A. Bayly
Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780 – 1914
Campus 2006

„Manchmal ist es uns fern“, schreibt Osterhammel über das 19. Jahrhundert, „manchmal sehr nah; oft ist es die Vorgeschichte der Gegenwart, zuweilen versunken wie Atlantis.“ Sein eigenes Werk sei der Zeit, den Perioden und Tempi, während Baylys zuvor erschienene monumentale Arbeit den Räumen und Orten gewidmet sei, in denen er je parallele Entwicklungen ausmache. Wo Osterhammel in die Tiefen dieses Jahrhundert eintaucht, bewusst unscharf in den Zeitabschnitten, verharrt Bayly, den Erzählfluss stets abbrechend, bei den einzelnen Staustufen. Jedoch, so schreibt Osterhammel: „Mein Buch ist kein Anti-Bayly sondern eine Alternative aus verwandtem Geist“. Der Unterschied der beiden Werke aus Schwartau lässt sich bis in die Titelformulierung verfolgen. Wo Bayly den kraftvollen Titel The birth of the Modern World wählte, der wie ein Geburtsschrei den Anfang markiert, sieht man bei Osterhammel nur den Nebel einer Verwandlung der Welt aufsteigen.
Gemeinsam ist ihnen, dass sie je für sich plausibel machen, wie den Opfern der europäischen Kolonisation gleichwohl die Vorteile der Zivilisation unmittelbar einleuchteten. Ein Gedanke, der sich in Zeiten des Glaubens an die Überlegenheit ursprünglicher und einfacher Kulturen einfach verbat, zumal er sich mit der selbstverständlichen Kritik des Eurozentrismus stets aktualisierte.
Dass sich Voluminöses allein den Möglichkeiten eines angeschlossenen Rechenzentrums verdankt, wäre vielleicht falsch. Eine Bedingung der Möglichkeit der neuen Bände aus Schwartau ist es aber zweifellos.

Jürgen Osterhammel hat für „Die Verwandlung der Welt“ den mit 10.000 Euro dotierten NDR Kultur Sachbuchpreis 2009 erhalten.

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Hohenzollernlegenden – Personal Struktur Material

John C. G. Röhl
Wilhelm II. Der Weg in den Abgrund (1900-1941)
C. H. Beck 2008

Der 150. Geburtstag Kaiser Wilhelm II. ist gerade ziemlich geräuschlos vorüber gegangen, das Werk von John C. G. Röhl über den letzten deutschen Kaiser mit dem dritten Band vollendet, da fällt mir ein ganz anderes Buch über Wilhelm II. von 1925 in die Hände. Es stammt von Emil Ludwig.

Röhl, der hier ja mehr ein Quellenwerk herausgegeben als eine Biographie geschrieben hat, versucht darin nichts geringeres als Wilhelm II. als Person wieder mit der Weltgeschichte in Verbindung zu bringen. Seine Zunft hatte den Hohenzollern als handelnde Person aus der Weltgeschichte fast herausgeschrieben.

Interessanterweise verfolgt Emil Ludwig in seinem Buch Absichten, die denen Röhls gar nicht so unähnlich scheinen: „Hier ist der Versuch gemacht, aus den Charakterzügen eines Monarchen unmittelbar die weltpolitischen Folgen, aus seinem Wesen das Schicksal seines Volkes zu entwickeln“, schreibt er in der Einleitung. Die Zunft allerdings, in der Person Hans Delbrücks und Wilhelm Mommsens mit der sogenannten „Versailler Schuldlüge“ befasst, war damals sofort über dergleichen „historische Belletristik“, zumal sie erfolgreich war, schwer beleidigt. „Kitsch“, rief Delbrück, da die Polizei zu rufen nichts genutzt hätte. » weiter lesen

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Kein Lettner für Europa


Paul Veyne
Als unsere Welt christlich wurde
C.H. Beck 2008

Die viel beschworenen christlichen Wurzeln Europas, in Europadebatten reichlich bemüht, nie jedoch ernsthaft ausgegraben, kann Paul Veyne nicht erkennen. Eher schon wurzelt das Christentum in den europäischen Institutionen. Denn religiöse Merkmale sind viel weniger bedeutsam zur Charakterisierung unserer modernen Zivilisation als zum Beispiel rechtspolitische. Ein ziemlich ernüchternder Befund für die, die die Zugänge nach Europa mit einem neuen Lettner abzuriegeln trachten. Mit einem einzigen Satz von Paul Veyne lässt sich diese Debatte fast aushebeln: Wir bewohnen alle ein altes Haus, aber die wenigsten von uns teilen die Überzeugungen und Verhaltensweisen der früheren Bewohner.

Paul Veyne spricht in seinem Buch nicht nur mit uns, was die wenigsten Gelehrten verstehen. Er macht mehr, er lässt uns selbst zu Wort kommen. Irgendwie immer so, als hätten wir gerade zuviel Karlheinz Deschner gelesen, der auch gerne entlarvend schreibt, der hinter die Kulissen späht und überall auf bloß machtpolitischen Zynismus stößt. Genauso lässt uns Paul Veyne zu Wort kommen. Statt Interessen aber deckt er Strukturen auf. Man könnte sagen, er holt uns ab. Während wir jedoch den Bus erwarteten, fährt Veyne mit uns U-Bahn.

Nachtrag vom 02.03.2009 zur einer Rezension von Als unsere Welt christlich wurde von Ute Eisinger:

Bei Sachbüchern ist es eine besonders seltene Erfahrung, dass man glaubt, man habe ganz verschiedene Bücher gelesen. Eine Rezensentin von literaturkritik.de schreibt: Besser ist es, zu Arnulf Zitelmanns „Geschichte der Christen“, einem Sachbuch für die Jugend, zu greifen. So ehrenvoll der Hinweis auf das „Sachbuch für die Jugend“ sein mag – scheint es doch ein Buch zu sein, welches die Rezensentin gelesen hat – ist diese Rezension doch selten wirr und holprig. Nachzulesen ist der Text von Ute Eisinger hier unter literaturkritik.de.