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Sex tells

Nachdem die Bettfedern um das Matratzenoutlet der Charlotte Roche ein wenig verflogen sind, kann man vielleicht mal zu den Büchern kommen, die nicht zur Gattung Fiktion-als-Sachbuch gehören. So dient die mit verschmitzten Lächeln vorgetragene Behauptung der Autorin, dass in Feuchtgebiete Selbsterlebtes zu lesen wäre, der Irreführung der bestellten Literaturkritiker, die prompt, bis auf einzelne Ausnahmen, darauf hereinfallen. Vom Augenblinzeln dieser Lara Croft der Talkshows kirre gemacht, vergessen sie oder übersehen vorsätzlich, den Text auf seine literarische Qualität zu untersuchen. Ein Pseudoroman, der als Pseudosachbuch gelesen wird. Im Oszilieren der Gattungen beginnen die Augen zu flimmern und die Lippen zu beben. Nicht zu vergessen, der absolut lächerliche Gestus der Kritik an all diesem stümperhaften Herumfummeln an den Geschlechtsteilen, wo doch in Wahrheit Aufklärung und Kritik unter einem Berg von wahllos zusammengeworfenen Hygienemitteln begraben wurde. Man kann festhalten, dass die Republik hier einer ebenso begabten wie konsequenten Autorendarstellerin auf den Schleim gegangen ist. Und doch müsste das Buch mit Volkmar Siguschs Neosexualitäten gut zu erklären sein, wenn es nicht ohnehin vom schlaksigen Ghostwriter als Anwendungsbeispiel eben dieses Buches konzipiert wurde.

Der Sexualität ist insgesamt ein wichtiger Trend der Sachliteratur gewidmet. Dabei werden lebenspraktische Fragen vom Urgestein der Sexberatung, Dr. Ruth Westheimer, geklärt. Man muss dazu wissen, dass sich Dr. Ruth dergleichen schlüpfrige Anmoderation von Büchern über Sexualität verbeten hätte. Zu Recht. Hier der Link, der ziemlich genau klärt, welche gewaltigen Unterschiede zwischen einem guten Rat und herumraten liegen.

Die weiteren Titel werden den eher praktisch orientierten Zeitgenossen nicht so sehr interessieren. Es sind historische Sachbücher. Dabei stand bei Dagmar Herzog zuerst, in diesem Jahr dann bei Anna Maria Sigmund die Neubewertung der Sexualität im Dritten Reich im Mittelpunkt. Die alte mehr oder weniger an der Hydraulik orientierte Vorstellung der Sechziger von sexueller Verdrängung und politischer Diktatur wird in diesen Büchern endgültig demontiert.

Sehr unterschiedliche Geschwister sind dagegen die Bücher von Volkmar Sigusch zur Geschichte der Sexualwissenschaft und Robert Muchembled. Während Sigusch nach meinem Geschmack von der Kritik leider in seiner Begabung zum literarischen Erzählen zu wenig gewürdigt wurde, ist Muchembled von dieser wegen allzu geringer Neuigkeitswerte seines Buches sehr gezaust worden. Das Buch liest sich doch anständig und unterhaltsam.

Volkmar Sigusch
Neosexualitäten. Über den kulturellen Wandel von Liebe und Perversion
Campus 2005

Dr. Ruth Westheimer
Silver Sex. Wie Sie Ihre Liebe lustvoll genießen
Campus 2008

Anna Maria Sigmund
„Das Geschlechtsleben bestimmen wir“. Sexualität im Dritten Reich
Heyne 2008

Dagman Herzog
Die Politisierung der Lust. Sexualität in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts
Siedler 2005

Volkmar Sigusch
Geschichte der Sexualwissenschaft
Campus 2008

Robert Muchembled
Die Verwandlung der Lust
Eine Geschichte der abendländischen Sexualität
DVA 2008

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Die deutsche Wasserlandschaft


David Blackbourn
Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft
DVA 2007

Am liebsten werden doch immer noch, daran wird auch unsere Sachbuchbegeisterung nichts ändern, Romane gelesen und unter den Romanen die Kriminalromane, und innerhalb dieser, werden die Dialoge bevorzugt. Personenbeschreibungen werden zwar seltener überblättert, immer jedoch die Landschaftsbeschreibungen. Wollte man das bei Adalbert Stifter oder Wilhelm Raabe versuchen, wäre man mit der Lektüre schnell zu Ende.
Die Eingriffe des Menschen in die Natur drehen sich an den entscheidenden Punkten immer nur um das Wasser. Die Eroberung der Wildnis ist die Beherrschung und Kontrolle des Wassers. Daher erzählt Blackbourn die Geschichte der deutschen Landschaft als Geschichte der trockengelegten Moore, der begradigten Flüsse und der Staudämme. Blackbourn erzählt dabei von Friedrich dem Großen, der die Trockenlegung des Oderbruchs als Eroberung einer Provinz im Frieden bezeichnete, von Johann Gottfried Tulla, der den Rhein begradigte mit Folgen, die man noch heute zu spüren bekommt (das Wasser fließt schnell ab, schafft sich so eine tiefere Rinne) und von Otto Intze dem erfolgreichen Erbauer der Staudämme in Deutschland.

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Die lachende Thrakerin lebt

David Edmonds und John Eidinow
Rousseaus Hund.
Zwei Philosophen, ein Streit und das Ende aller Vernunft
DVA 2009

Wer im Titel eines Buches auftaucht, ist bekannt. Nicht der Hund, Rousseau! Das wissen selbst die englischen Autoren dieses wunderbaren Buches. Es fehlt: David Hume. Der nimmt den flüchtenden Rousseau 1776 mit nach London. Allerdings nicht ahnend, dass Rousseau vollkommen erstens auf seine Haushälterin Thérèse Levasseur und, wenn diese nicht zugegen, auf seinen Hund Sultan fixiert ist.

Die Klammer, die Jean-Jacques Rousseau und David Hume auf immer – jedenfalls philosophiegeschichtlich – verbinden wird, ist nicht etwa dieses Buch, sondern ein schon in die Jahre gekommener Privatdozent in einer unbedeutenden preußischen Provinzstadt. Dieser Dozent bekannte, dass ihn einerseits der religionsfeindliche Hume aus seinem dogmatischen Schlummer gerissen habe, andererseits hatte ihm Rousseau das Paradox der Autonomie erschlossen, in dem man sich in Freiheit Regeln zu unterwerfen habe. Rousseaus Bild schmückte als einziges Portrait sein Arbeitszimmer, während er über zehn Jahre an seinem gewaltigen Hauptwerk schrieb, der „Kritik der reinen Vernunft“. » weiter lesen