// 2012

// Bücher

Flitzepee


Bettina Hartz
Auf dem Rad
Eine Frage der Haltung
DVA 2012

Bettina Hartz hat über das Fahrrad gleich mehrere Bücher geschrieben, Reportage, Ratgeber und Kulturgeschichte. In den Erinnerungen und Erlebnissen mit dem Fahrrad gelingen Bettina Hartz schöne Betrachtungen und Wirkungen. All dies so kurzweilig wie ein Weg, den man gern mit dem Fahrrad zurücklegt. Vor allem so genau und in einem Tempo zu genießen, welches das Radfahren vom Autofahren unterscheidet. Ein Frischluftvergnügen. Auch als Buch, bei dem allerdings Kopf- und Fußsteg so schmal geraten sind, als parke der Buchgestalter ganz gern mal auf dem Radweg.

// Bücher

Wir müssen über Ziele reden

Christoph Bartmann
Leben im Büro
Die schöne neue Welt der Angestellten
Hanser 2012

Im Grunde hat Christoph Bartmann drei Bücher geschrieben. Das erste handelt mehr oder weniger von seinem Büroalltag. Das zweite Buch enthält ausgezeichnete Aufsätze zur historischen Entwicklung der Büroorganisation. Das dritte Buch erläutert unabweisbar genau, was das Büro aus uns gemacht hat. Leider nehmen diese drei Bücher kaum Bezug aufeinander und man hat den Eindruck, dass das irgendwie auch wieder typisch fürs Büro ist.

Ein viertes Buch im Buch, in dem dezidiert von denjenigen Wirtschaftsinstituten und sogenannten think tanks in Harvard, St. Gallen oder Gütersloh die Rede wäre, die die Schnittstellen von Wirtschaft und Poiltik formulieren und helfen in politische Programme umzugießen, dieses Buch hat Bartmann nicht geschrieben. Dazu hätte er raus aus dem Büro gemusst. Ansonsten besitzt Christoph Bartmann eine Neigung zum überaus langen Zitat, durch dessen Länge gelegendlich das aus dem Blick gerät, was gezeigt werden sollte.

Trotzdem schießen in diesem im übrigen hervorragend geschriebenen Buch gelegentlich alle Beobachtungen und Analysen zusammen, z. B. in genau dem Kapitel, in dem Christoph Bartmann die Bücher von Miriam Meckel erläutert. Er zeigt, wie sie Burnout als „Zusatzqualifikation“ nutzt.

Wer mit Symptomen reagiert, die man als Stress erkennt, hat zweimal verloren, er hat Stress und ist überfordert. Das quält von zwei Seiten. Burnout ist nach Bartmann dagegen „die unpeinlichste aller Krankheiten“. Daher lässt sich Burnout hervorragend im Büro erzählen, mit Burnout lässt sich angeben, denn diese Krankheit zeugt „von einer exzessiven Leistungsfähigkeit und – bereitschaft“. Burnout erscheint daher weniger als Problem, denn als Lösung.

An der Stechkarte, die mal den Schlendrian verhindern sollte, zeigt sich die Veränderung, denn heute dient sie der Einschränkung von Überarbeitung. Das Buch endet, wo das Büro nun angekommen ist, in uns selbst.

// Bücher

stw 666

Peter Fuchs

Der Papst und der Fuchs
Eine fabelhaft unaufgeregte Unterhaltung
Velbrück Wissenschaft 2012

Die Religion lässt sich nicht begrifflich fixieren, daher bringt sie uns in Bewegung. Daher auch Streit und Rauferei darüber. Die Ökumene, der Zusammenschluss der beiden christlichen Kirchen, scheitert ja nicht etwa an den Menschen, sondern an der Auslegungsmathematik der Theologen, nach denen die begriffliche Fixierung der jeweiligen Glaubenslehren noch nicht abgeschlossen ist.

Es ist nicht anzunehmen, dass man 2017 fertig würde, wenn der Thesenanschlag Luthers ins 500. Jahr geht. Ein unfertiges und freies Leben mit dem Unglauben, der Selbstbeschränkung der eigenen Überzeugungen, der Ermöglichung von Unglauben, des Unglaubens in uns selbst, ist den Theologen ein Gräuel. Schlimmer aber ist, eine theologische Position zu räumen, auf die Gehaltsansprüche bestehen.

Die christlichen Kirchen wurden im 20. Jahrhundert so weltoffen, wie nie zuvor. Man strömte in die Welt und ist ununterscheidbar und etwas konturlos in die Welt diffundiert. Nicht ganz ohne Substanzverlust, so scheint es zumindest. Die Kirchen haben die Welt in sich aufgenommen. Die Begründer der Klosterorden wussten von der Gefahr. Jetzt will jeder ins Kloster und keiner will bleiben. Derweil ruft der Papst zur Entweltlichung der Kirche auf.

Säkularisierung ist längst ein Phänomen der Kirchen selbst. Sie zeigt sich an der Differenzierung, der Trennung von Kirche und Staat, der Rationalisierung im Fernsehgottesdienst und der online-Beichte, der Individualisierung der Beerdigungszeremonie und einer ungeheuren Universalisierung des Kirchlichen im Kirchentag. All dies befeuert vom technischen Fortschritt.

Aber Vorsicht, da gleich die Auflösung von Innen her zu sehen. Der Gegenbeweis, dass unsere Säkularisierung nichts mit der Entwicklung der Konsumgesellschaft zu tun hat, wäre Amerika. Was ist der Grund? Es braucht zu einer religiösen Gesellschaft lediglich massive ökonomische Ungleichheit, extreme soziale Absturzgefahr und Schwäche des Sozialsystems. Dann ist es unerheblich, ob man in einem der reichsten oder ärmsten Land der Erde lebt.

In neuerer Zeit gibt es Mord und Totschlag, wenn zwei universal ansetzende Weltzugriffe aufeinander treffen. Nicht so beim Systemtheoretiker Peter Fuchs, der den Papst bei sich zu Hause zu Gesprächen zu Gast hatte.

„Jeder moralische Maßstab,“ heißt es einmal in diesem wunderbaren Buch, „der gelten soll, gilt nur unter der Prämisse, dass man sich dagegen entscheiden kann, wenn man will. Das heißt auch: Je mehr religiöse Organisationen auf gültige Moral setzen, desto mehr exponieren sie sich Gegenbeobachtungen, die auf Freiheit pochen, intern und extern.“

Dieser Gegenbeobachter, der auf Freiheit pocht, ist der Teufel, der in Niklas Luhmanns Hauptwerk Soziale Systeme eine bedeutende Rolle spielt. Das Buch erschien dann später in der Reihe suhrkamp taschenbuch wissenschaft mit der denkwürdigen Bandnummer 666. Luhmann hatte den Teufel, Fuchs hat den Papst im Buch. Und in diesem Buch lernt man fast alles, was man über Religion wissen muss; vom Gegenbeobachter natürlich.

In den Gemeinden, vom Papst zur Entweltlichung aufgerufen, herrscht Angst. Leisetreterei allerorten, ob man nicht, wenn doch alle so empfindlich geworden seien, in Theater und Musik die Provokationen einfach sein lassen könne. So ein Katholik oder Evangelischer, das war an dem Abend nicht zu erfahren, satt und besorgt, wie alle anderen, die an der Veranstaltung teilnahmen. Einer Veranstaltung zum zweiten Gebot: Du sollst Gottes Namen achten. Hier der Link.

Besonders gravierend: Das zur Dikussion geladene Christenvolk überraschte das Podium, das sich verabredet hatte, die Beschneidungsdebatte nicht selbst zu beginnen, damit, diese mit keinem Wort zu erwähnen. Der „Mohel“ bei der „Metzitzah B’peh“ genannten Zirkumzision saugt „Blut mit dem Mund aus dem beschnittenen Penis“. (FAZ Nr. 216, 15.09.2012) Man hätte sich überraschen können.

Denkste, Peter Fuchs, „Gegenbeobachtungen, die auf Freiheit pochen“ gibt es nicht. Weder wird gepocht, noch auch nur getippt. Gegenbeobachtungen werden zu Berücksichtigungen entschärft. Was müssen wir berücksichtigen? Religion, die sich vom Podium herab nicht begrifflich fixieren lässt, macht missmutig. Der Terror ist angekommen.

Die Teilnehmer stimmen darin mit ihren Enkeln, die wissen wollen, ob das Vorgetragene denn prüfungsrelevant sei, ganz überein.