// Bücher

Die Frau berichtet

25478367_25478367_xl

 

 

Gabriele Tergit
Käsebier erobert den Kurfürstendamm
Roman
Schöffling & Co. 2016

Erika Mann schrieb über die Autorinnen der Neuen Sachlichkeit als einen neuen Typ: „Die Frau, die Reportage macht, in Aufsätzen, Theaterstücken, Roman. Sie bekennt nicht, sie schreibt sich nicht die Seele aus dem Leib, ihr eigenes Schicksal steht still beiseite, die Frau berichtet, anstatt zu beichten.“ Gemeint sind zugleich auch Vicki Baum, Irmgard Keun und Marieluise Fleißer.

Gleichwohl steht das ‚eigene Schicksal nicht still beiseite‘, ist doch, zumindest im Fall von Gabiele Tergit, der Roman Käsebier erobert den Kurfürstendamm nichts weniger als eine beißende Satire, eine entlarvende und auch verehrende Darstellung der Welt der Zeitungen, die Gabriele Tergit als Gerichtsreporterin für das „Berliner Tageblatt“ gut kannte – die Figur Emil Gohlisch ist ein Portrait Walther Kiaulehns.

Der Roman erschien erstmals im Winter 1931. Und der Vergleich mit Kleiner Mann – was nun? von Fallada 1932 publiziert, der sich im Nachwort von Nicole Henneberg (angestellt aber von Gabiele Tergit selbst) findet, führt in die Irre. Denn im März 1931 erschien bereits Falladas Bauern, Bonzen und Bomben, der als Zeitungs- und Prozeßroman den eigentlichen Vergleich abgibt.

Falladas Welterfolg über Johannes Pinnerberg schildert einen ganz anderen kleinen Mann, einen, der nicht die Bühne sucht, sondern ganz im Gegenteil in Ruhe gelassen werden will. Bei Gabriele Tergit erobert Käsebier gar nichts, sondern ist ein von Zeitungsreportern hochgeschriebener Volkssänger. Hier wird der kleine Mann medial vergrößert nicht um seiner selbst, sondern um der Zeitungsmedien willen.

Im Unterschied zu Fallada, der in Bauern, Bonzen und Bomben das Partei-, Bauern- und Zeitungsmilieu zugleich schildert, bekommt man von Gabriele Tergit einen interessanten und tiefen Einblick in die Arbeitsweise der Redaktionen, ihre Diskussion der Themen, der Sprache und Sprachkritik und sogar des gesetzten Textes.

Der ältere in der Redaktion, Miermann, überarbeitet Gohlischs Artikel über Käsebier: „Ihr Artikel sieht wieder aus! Es gibt sowohl Punkte als auch Kommata, wenn man als auch sagt, muß irgendwo sowohl stehen. Dieser Satz endet mit und. Gohlisch, Gohlisch! Lernen Sie weiter. Bilden Sie sich fort. Finden Sie es schön, immerzu irgendwie zu sagen? Nein. Sie sind mein Sorgenkind. Lesen Sie Fontane. Und lesen Sie Heine und alles, alles von Anatole France.“

In Gabriele Tergits Roman werden die modernen Orte, die das eigentliche Thema der Neuen Sachlichkeit sind, die Hotels, die Büros, die Varietés und Straßen erzählt, als nur vorübergehender Aufenthalt, als Räume des Übergangs so wenig gesichert wie die Beziehungen, die Ansichten und das Einkommen.

Resonanzraum der Politik

25485613_25485613_xlKarsten Krampitz
1976. Die DDR in der Krise
Verbrecher Verlag 2016

Das Buch von Karsten Krampitz, das die Ereignisse des Jahres 1976 in der DDR erzählt, ist auch eine Reise in die politischen Geschichte der BRD. Was sich allerdings damals aus der Westperspektive als starker Staat gerierte, hatte zu dieser Zeit bereits, wie Krampitz klarstellt, mehr Vergangenheit als Zukunft.

Krampitz berichtet über den Versuch der Publikation des Bandes Berliner Geschichten an der Zensur vorbei, den Tod Michael Gartenschlägers an den Grenzanlagen, den IX. Parteitag, die Auseinandersetzungen um den Eurokommunismus, den Tod eines italienischen Kommunisten an der Grenze und den Fall Oskar Brüsewitz.

Bei den Olypischen Spielen in Montreal landete die DDR, ein Staat mit der Bevölkerungsanzahl von NRW, auf Platz zwei des Medaillenspiegels. „Die Partei“, schreibt Krampitz in diesem Zusammenhang, „war nie in der Lage, die Mehrheit der Menschen im positiven Sinne emotional zu erreichen.“

Warum Krampitz Reiner Kunzes Die wunderbaren Jahre aus dem Jahr 1976 nur am Rande erwähnt, ein Buch auf das doch Kunzes Rauswurf aus dem DDR-Schriftstellerverband erfolgte und das dann im Westen verfilmt wurde, ist nicht recht nachvollziehbar. In dem Buch spielt das Verhältnis von Musik und Politik eine wichtige Rolle.

Man hätte sich auch gewünscht, dass er es mit dem Jahr 1976 nicht allzu genau nimmt, und Rudolf Bahros Die Alternative von 1977 in die Krisenanalyse aufnimmt. Denn beide Bücher erschienen in der BRD.  Auch Biermann gab sein Konzert in der BDR. Politik und Musik auch hier.

Die Ausbürgerung Biermanns und der Hausarrest für Robert Havemann schließen damit das Annus horribilis der DDR ab. Zudem: der Protest gegen die Ausbürgerung wurde zur Sammlungsbewegung und diese verstetigte sich zur Dauereinrichtung.

In einer Aktennotiz schrieb Bischof Albrecht Schönherr über die Schriftsteller: „Für Biermann wird laut genug geredet. Für die Schriftsteller wollen wir einiges tun: Sie lesen. Sie zitieren. Sie einladen.“ Krampitz sieht in diesem Vermerk eine „Weichenstellung“, insofern hier in den Räumen der Kirchen die Artikulation des Protests durch die Schriftsteller den entscheidenden Resonanzraum erhielt.

Du wirst existiert haben

aaa-vidaxlVendela Vida
Des Tauchers leere Kleider. Roman
Aufbau 2016

Es ist häufig die Irritation, die Abweichung und das Fehlgehen, wodurch uns angezeigt wird, was etwas ist. Was ist unsere Identität? Im Roman von Vendela Vida gibt es in der Stadt Casablanca eine Bar, die Ricks Café heißt, und natürlich wie im Film aussieht, inklusive Klavierspieler und Drink Ingrid. Der Film bringt eine Wirklichkeit außerhalb seiner selbst hervor wie auch dieser Roman von Vendela Vida, der die Identitionsdiffusion seiner Heldin den Leser immer und ständig spüren lässt: er ist in der 2. Person Singular, in der Du-Form also, geschrieben.

Das Manipulative und Zudringliche, das dieser Roman damit für die Leser hat, bemerkt man nicht gleich. Erst wenn man über ihn nachdenkt, sich erinnert, legt sich etwas quer und ist deutlich anders als bei anderen Romanen. Der erinnerte Text dieses Romans erweist sich als näher, wirklicher. Und die Heldin des Buches zieht sich des Tauchers leere Kleider an, sie ist diejenige, die andere in ihr sehen wollen – und dann ist sie verschwunden und lässt ihre Identität wie eine leere Hülle zurück. Das als Antwort auf die Frage nach der Identität.

Der Titel dieses Romans entstammt einem Gedicht von Rumi: Du sitzt hier mit uns, doch ebenso gehst du / früh am Morgen in den Wiesen spazieren. Du bist selbst / das gejagte Tier, wenn du mit uns auf die Jagd kommst. / Du bist in deinem Körper fest wie eine Pflanze im Boden, / und doch bist du der Wind. Du bist des Tauchers leere Kleider am Strand. Du bist der Fisch.

Die erzählte Geschichte spielt in Marokko, wo sich Identitäten schon eimal verlieren können und neue angenommen werden. Reeves, die Heldin der Geschichte, ist auf der Flucht, erhält die Chance eines Jobs als Filmdouble, jemand anderes zu sein. Dann heißt es: Der Film wird ins Kino kommen, und auch wenn sonst niemand wissen wird, dass du das bist auf der Rückbank, dass das dein verhülltes Profil ist, das von weitem zu sehen ist, wirst du es wissen. Du wirst existiert haben.