// 2013

// Bücher

Schrecken und Ende

Martin Bleif
Krebs
Die unsterbliche Krankheit
Klett-Cotta 2013

Warum sind in der Sachbuchgeschichte die Ärzte so zahlreich vertreten? Zahlreich und erfolgreich. Ein Grund könnte sein, dass zur Ausübung ihres Berufes ein Aspekt hinzukommt, der sie von vielen anderen begabten Fachleuten unterscheidet: Sie treten mit den Objekten ihres Wissen ins Gespräch.

Martin Bleif hat ein großartig geschriebenes Buch, ein Kompendium vorgelegt, in dem er sich auf einen Dialog mit seinen Lesern einlässt. Krebs ist eine Medizin- und Kulturgeschichte des malträtierten Leibes, malträtiert von der Krankheit wie von seiner Zunft.

Der Krebs ist beides, ein Ende mit Schrecken und ein Schrecken ohne Ende. Die enorme Anzahl der Krebsarten, die uns bedrohen, und die mitunter ein ganz eigenes Forschungsgebiet ausbilden, führt Bleif alle auf. Bleif ist ein genau darum so bewunderswürdiger Spezialist seines Gebiets, weil er sich in ihm als Generalist erweist. Dies gilt aber nicht allein vom Krebs, sondern auch von den Formen seiner Darstellung.

Die unleugbare Brutalität der Krebsdiagnose, wird in Bleifs Entdeckungsgeschichte des Krebses, seiner Theoriegeschichte und der Geschichte der Heilungsversuche, die das Buch bietet, wunderbar aufgehoben. Eine Kulturgeschichte des Krebses, die selbst ein Beitrag zur Kultur ist.

// Bücher

Der tiefe Schützengraben zwischen Propaganda und Literatur

Das äußerste komplexe Thema der Datensicherheit und Bürgerrechte wird in dem Aufruf Writers Against Mass Surveillance auf die Tagesordnung gehoben. Verantwortliche Stellen in der Politik, aber auch der Wirtschaft und Forschung erscheinen von außen – drinnen mag es ja rumoren – wie gelähmt. Da mag das Engagement der Schriftsteller Julie Zeh und Ilija Trojanow nur zu notwendig erscheinen. Wenn es ihnen gelingt, die dafür nicht allein gewählten, sondern auch die dafür vorgesehenen Institutionen, gar die, die man dafür bezahlt, in ihrem Funktionsversagen vorzuführen, dann ist schon viel erreicht.

Aber ist das die Aufgabe der Literatur? Vielleicht überfordert man die Literatur und die Kunst überhaupt, wenn man ihr eine besondere Rolle in der Gesellschaft zumisst, als Korrektiv, als Ermahnung oder auch nur als das Andere? Wie sehr uns aber dieser Anspruch an die Literatur selbstverständlich geworden ist, lässt sich an Ernst Pipers Kulturgeschichte zeigen. Es ist schon erstaunlich, wer sich da alles mit der Produktion feuriger Kriegsverherrlichung engagiert hat.

Diesen Leib, den halt‘ ich hin
Flintenkugeln und Granaten:
Eh‘ ich nicht durchlöchert bin,
kann der Feldzug nicht geraten.

Wenn man bei Piper den Verfasser als Gerhart Hauptmann genannt bekommt, dessen dritter Sohn gerade eingezogen wurde, kommen doch erhebliche Zweifel über den Status der Literatur auf. Vielleicht ist Literatur so etwas wie Werbung, nur nicht ganz so bunt? Begriffsgeschichtlich erfand man sich zur Distanzierung derartiger literarischer Erzeugnisse den Begriff der Propaganda und setzte ihn vor die hochkulturellen Erzeugnisse als Propagandafilme oder Propagandaliteratur, als sei zwischen ihr und dem Film und der Literatur nun ein tiefer Schützengraben.

Anton Holzer hat ein Bilderbuch des Krieges mit Texten von Karl Kraus, aus seinem unaufführbar umfangreichen Theaterstück Die letzten Tage der Menschheit kombiniert. Kraus ist ja – vor allem für den Auftakt des Krieges – neben Romain Rolland und Friedrich W. Förster einer der ganz wenigen, die vom Augenblick der Kriegserklärungen dagegen waren. An Kraus hängt damit das ganze Selbstbild der sensiblen und wetterfühligen Kultur, irgendwie dann doch dagegen gewesen zu sein oder, besser noch, irgendetwas geahnt, vorgefühlt zu haben. Alles Unsinn, Kraus erreichte die Nachricht, wie Holzer berichtet, auf einer Urlaubsreise und er hat nichts geahnt, gefühlt, er wusste einfach: das kann tödlich enden, auch bei einem Sieg.

Klaus-Jürgen Bremm
Propaganda im Ersten Weltkrieg
Theiss 2013

Anton Holzer
Die letzten Tage der Menschheit.
Der Erste Weltkrieg in Bildern
Mit Texten von Karl Kraus
Primus 2013

Ernst Piper
Nacht über Europa
Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs
Propyläen 2013

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Das geht nicht gut

Florian Werner
Verhalten bei Weltuntergang
mit Bildern von Nikolaus Heidelbach
Nagel & Kimche 2013

Florian Werner ist der Humorist unter den Sachbuchautoren. Und er legt es, das zeigen seine bisherigen Veröffentlichungen, offensichtlich auf ein Gesamtwerk im Genre des Sachbuchs an. Nach der Kuh und der Scheiße nun der Weltuntergang. Das Buch wurde von Nikolaus Heidelbach wunderbar illustriert, es ist zudem herstellerisch kongenial gestaltet.

Florian Werner ist darum aber noch lange keine faktografische Rotationsmaschine, die die Themen nach ein paar Einfällen verarbeitet. Florian Werner ist ein Schriftsteller, der sich tief auf die Sache einlässt, der sich der Sache mit Neugier auf weitere Zusammenhänge annimmt. Dabei ist das Schreiben bei Werner ein deutlich kreativer Prozess, weil er der Sache spürbar auch formal gerecht wird: hier vor allem, aber nicht nur, mit Ironie.

Hier zur Besprechung von Florian Werners Kuh: „Cash cow der Menschheit“.