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Dunkelwärts

John Crowley
Ka. Das Reich der Krähen
Roman
Golkonda 2018

Thomas Nagel, der viele überraschend anschauliche Texte zur Bewußtseinsphilosophie geschrieben hat, schrieb einmal einen Aufsatz, in dem er der Frage nachging, wie es sei, eine Fledermaus zu sein. Für die Krähe hat John Crowley nun den Großversuch gewagt. Ein Großversuch allerdings, der die Schraube noch etwas weiter dreht, denn im Blick der Krähen spiegelt sich die Geschichte der Menschheit – und ihr unrühmliches Ende gleich mit.

Sicher, die Fremdheit der Wahrnehmungswelt der Krähe ist unüberbrückbar – allein im Medium des Romans sind Konzessionen erlaubt, die in der Literatur ja als Fabel geläufig sind. Crowley schreibt aber keine Fabel.

Der Roman beginnt mit der Schilderung einer enormen Müllkippe, auf der sich Menschen und Krähen begegnen. Hier zeigt sich sofort die Kunst von John Crowley. Durch seine an Tolstoi erinnernde Kunst der Beschreibung, bei der der beschriebene Gegenstand oder Sachverhalt nicht beim Namen genannt wird, er also vor dem inneren Auge des Lesers langsam entsteht und sich im Erlebniseffekt des Erkennens tief in ihn einsenkt, gelingt es ihm die Welt aus der Sicht der Krähen zu beschreiben.

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Familienaufstellung mit Todesfolge

Vivek Shanbhag
Ghachar Ghochar
Roman
Aufbau 2018

Familien haben ihre eigene Sprache und ihr eigenes Schweigen. Über ein Band, das sich verheddert hat, sagt Anita, die junge Braut des Erzählers, es sei ghachar ghochar. Am nächsten Tag greift er das auf: Sie hatte mir diese geheimen Worte, die in keiner Sprache existierten, anvertraut, und ich war jetzt einer der einzigen fünf Menschen in der Welt, die wussten, was sie bedeuten.

Es sind Gewohnheiten und Begriffe, um die herum sich eine Familie ordnet. Chikkappa, der Ernährer der Familie, greift später im Roman die Spitznamen auf, die er sich für jedes Familienmitglied ausgedacht hat. Die junge Braut ist verreist. Das lockerte, wie der Erzähler mitteilt, die Knoten in uns auf, die sich über die Jahre immer fester gezogen hatten.

In einem Café reflektiert und erzählt der junge Mann über die Ordnung, die sich seine Familie gegeben hat und die seine junge Braut nicht einfach akzeptiert. Er einnert sich der Ereignisse in der Familie, der Heirat, die kleinen Streitereien und den großen wirtschaftlichen Erfolg der Familie, der vor allem Chikkappa zu verdanken ist.

Scheherazade erzählte um zu leben. Dieser Erzähler erzählt geduldig und gelassen, warum seine Braut vermutlich nicht zurückkehren wird, warum sie vielleicht sterben wird, warum in der Familie darüber kein Wort verloren wird. Und wir erschrecken, wir sind die Komplizen.

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Meine Tage ergeben doch ein Leben

Zsuzsa Bánk
Weihnachtshaus
edition chrismon 2018

Es muss weiter gehen. An dieser Stelle in ihren angefangenen Leben stehen die beiden Frauen in diesem Kurzroman. Ein kleiner Roman in Rückblicken und Ausblicken. Der Tod des Mannes der Erzählerin, die wilde Zeit von Lilli im Rückblick. Und im Ausblick das gemeinsame Wochenendhaus im Odenwald, das die Betreiberinnen eines Cafés herrichten.

Ich habe oft gedacht, wie verrückt es ist, ein Stück Land zu kaufen und ein altes Haus wieder zum Leben zu erwecken, wie verückt von Lilli und mir, zwei Frauen mit zu vielen Verpflichtungen und zu wenigen Freiheiten, ausgerechnt wir nehmen uns vor, ein Haus auf dem Land zu besitzen.

Das Weihnachtshaus ist ein ebenso rührender wie unsentimentaler Roman, so kurz und knapp, wie es eben ist in solchen Situationen, in denen es weiter gehen muss. So heißt es an einer Stelle im Roman:

Ich hatte die Kinder damals angeschaut und gedacht, es geht weiter, mein Leben geht weiter, selbst ohne Clemens kann es weitergehen. Meine Tage ergeben doch ein Leben, trotz allem ergeben sie mein Leben. Ich hatte Lilli angeschaut und gedacht, sie dreht mein Leben weiter, sie dreht mein Leben ohne Clemens weiter.