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Sach-Buch-Wissenschaft

Detlef Bluhm
Von Autoren, Büchern & Piraten. Kleine Geschichte der Buchkultur
Artemis & Winkler 2009

Diese „Kleine Geschichte der Buchkultur“ versucht auf gut 250 Seiten die gesamte Geschichte des Buches darzustellen und dazu noch eine Diskussion der aktuellen Probleme der Branche zu liefern. Dieses Ziel erreicht Bluhm durch geschickten Einsatz der für ein Sachbuch nicht nur legitimen sondern auch notwendigen Mittel. Und er setzt diese Mittel so gekonnt ein, dass man an diesem Buch die Merkmale eines Sachbuchs geradezu ablesen kann.

Das erste Mittel ist, Beispiele gezielt einzusetzten: Homer, der sich gegen Plagiatoren zur Wehr setzt, römische Gelehrte, die sich jeden Morgen in ihrer Buchhandlung treffen, um sich über Neuigkeiten zu informieren, usw. Das ist zugleich konkret und anschaulich; während bei schlechten Sachbüchern das Beispiel zur beliebigen Anekdote verkommt, ist es hier paradigmatisch: ein Beispiel erklärt hier ein ganzes Problemfeld wie das des Plagiats bzw. Urheberrechts einer Epoche. Das ist eben der didaktische Vorzug des Sachbuchs vor der Wissenschaft: das Beispiel in der Wissenschaft kommt nicht allein vor, sondern geht im Verbund mit einer möglichst erschöpfenden und damit leider oft ermüdenden Beispiel-Armada einher. Ein gutes Sachbuch kann sich auf ein Beispiel und zwar auf ein möglichst aussagekräftiges beschränken.

Dasselbe gilt übrigens für die zum Teil farbigen Grafiken, die Artemis & Winkler dem Buch glücklicherweise spendiert hat. Es ist ein elementarer Unterschied, ob man etwa nur über den „Lesestein“ im 13. Jahrhundert – den Vorläufer unserer Lupe und Brille – liest, oder ob man dessen Wirkung durch die Abbildung einer aufgeschlagenen Buchseite mit darauf liegendem Lesestein selbst betrachten kann: Nachvollziehbarkeit durch Anschaulichkeit statt abstrakter Explikation ist ebenfalls ein Merkmal gelungener Sachbücher.

Ebenso wie eine gelungene Auswahl und Mischung von gesichertem Wissen sind pointierte Analogien oder interessante Anregungen zu finden. Dankenswerterweise beginnt diese Darstellung nicht erst wie einige seiner überflüssigen Vorgänger mit Gutenberg, sondern wie bereits angedeutet, mit der Antike. Natürlich stellt sie auch das zum Teil schon zu Klischees verfestigte Wissen dar, wie zum Beispiel das „Überwintern“ der Buchkultur im Mittelalter in den Klöstern, zeigt aber zugleich die Kehrseite, nämlich die damit einhergehende Monopolisierung des Wissens und deren Missbrauch, zum Beispiel durch Zensur, indem man unliebsamen oder vermeintlich unwichtigen Text auf Pergament einfach auslöschte und überschrieb.

Ein letztes und sehr wichtiges Merkmal des Sachbuchs: das vermittelte Wissen bildet keinen Selbstzweck, sondern wird in instrumenteller Absicht konsumiert – sieht man einmal von der aussterbenden Spezies ab, die sich den Kanon des Bildungsbürgertums aus vermeintlichem Selbstzweck aneignen möchte; aber selbst hier besteht die Absicht in der Anhäufung von symbolischem Kapital. Bei Bluhm wird Wissen fruchtbar durch den starken Bezug seines Buches zu aktuellen Problemen. Das ganze letzte Fünftel des Buches widmet sich der Diskussion von Folgeproblemen der Digitalisierung wie Google Settlement, Open Access usw. Das ist umso erfreulicher, als hier nicht ein selbsternannter sondern tatsächlicher Kenner der Branche schreibt. So verbinden sich in diesem Buch nicht nur flüssiger Schreibstil und Ausrichtung auf die Zielgruppe, sondern auch Sachkenntnis. Was braucht ein gutes Sachbuch mehr?

// Sachbuchforschung

Wie schreiben? Zwischen creative writing und Literaturwissenschaft

Sol Steins Klassiker des creative writing ist erstmals in einer Taschenbuchausgabe bei Zweitausendeins zu haben. Er führt den stolzen Titel „Über das Schreiben“ und vertritt diesen Anspruch konsequent. Zu Recht?

Die implizite Poetologie

Diesen Text Sol Steins versteht man tatsächlich nur dann zu würdigen, wenn man ihn auf seinen poetologischen Rahmen bezieht. Der Autor selbst legt dies wohlweislich nicht nahe, denn sonst könnte er nicht den Anschein erwecken, ein Buch über „das“ Schreiben, sondern womöglich „nur“ ein Buch über das Schreiben von Unterhaltungsliteratur verfasst zu haben.

Seine Vorstellungen eines gelungenen Textes gründen zunächst auf zwei poetologischen Dogmen: ein Text muss Spannung wecken und den Spannungsbogen konstant hoch halten und er muss eine möglichst weitgehende Identifikation mit der „Hauptfigur“ hervorrufen. Den Autoren erteilt er folgenden Rat: „Wenn Ihr Protagonist nicht mit aller Kraft nach einem Ziel strebt, fällt es den Lesern schwer, ihm von ganzen [!] Herzen zu wünschen, daß er es erreicht; aber genau das ist es, was die Leser antreibt, die Lektüre fortzusetzen. Je stärker die Sehnsucht, um so größer das Interesse des Lesers.“

Sowohl Spannung als auch Identifikation sind gerade Kriterien für erfolgreiche Unterhaltungsliteratur. Insofern drückt sich für Stein folgerichtig die Güte eines Textes in dessen Rang auf den Bestsellerlisten aus. Sein Bewundern über von ihm selbst lektorierte Texte bringt er so zum Ausdruck: „Einem Autor, dessen Werk ich lektoriert habe, gelang es, eine Figur durch ihren Gang so überzeugend zu charakterisieren, daß sie ohne Umschweife in die Bestsellerlisten marschierte.“

Dies ist – um allen möglichen Missverständnissen vorzubeugen – keineswegs ehrenrührig. Dies wird es allerdings in dem Moment, in dem er selbst versucht Prestige für seine eigenen und die von ihm lektorierten Texte daraus zu ziehen, dass er sich verdächtig demonstrativ gegen die sogenannte „Trivialliteratur“ abgrenzt. Wenn Sol Stein beispielsweise davon spricht, dass die Figuren der „Trivialliteratur“ „flach und klischeehaft gezeichnet“ seien, misst er sie dabei an seiner oben dargestellten impliziten Poetologie einer unreflektierten und rein affirmativen Identifikation der Rezipienten mit den Protagonisten. Und es ist doch gerade diese unhinterfragte und ungebrochene Identifikation, von der Sol Stein selbst ausgeht, die ein konstitutives Merkmal der „Trivialliteratur“ bildet.

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// Sachbuchforschung

Geglücktes Spiel

Andreas Diekmann
Spieltheorie. Einführung, Beispiele, Experimente
Rowohlt 2009

Die Reihe „Rowohlts Enzyklopädie“, herausgegeben von Burghard König, ist nicht nur aus dem Bereich der wissenschaftlichen Literatur nicht mehr wegzudenken. Viele Bände dieser Reihe hatten sich schon seit jeher dadurch ausgezeichnet, wissenschaftliches Grundlagenwissen aufs Konkrete anzuwenden, ohne deshalb unzulässig zu vereinfachen. Oder anders ausgedrückt: viele Bände dieser Reihe vereinigen die Vorzüge von Fach- und Sachbüchern in sich und verstehen es, die jeweiligen Nachteile zu vermeiden.

Ein besonders geglückter Band ist das Buch über Spieltheorie des Soziologen Andreas Diekmann. Bislang haben Darstellungen der Spieltheorie deren mathematischen Ursprung deutlich betont, was bisweilen soweit ging, dass sich eine vermeintlich populäre Darstellung „Spieltheorie für Nichtmathematiker“ betitelte, um den vermeintlichen Verständniszuwachs nur ja als Mangel an Sachverstand herauszustreichen. » weiter lesen