// 2009

// Bücher

Cash Cow der Menschheit

Florian Werner
Die Kuh. Leben, Werk und Wirkung
Nagel & Kimche 2009

Florian Werner ist Texter und Musiker der Gruppe Fön und schrieb ein Sachbuch über den Rap. Dass er außerdem Literaturwissenschaftler ist, bemerkt man in diesem heiteren und ungewöhnlichen Buch, das im Grunde eine Kulturgeschichte der Kuh ist, auf Schritt und Tritt. Statt aber als breite Kulturgeschichtle aufzutreten, verulkt das schmale und sehr unterhaltsame Buch schon in seinem Untertitel die Großwerke der wissenschaftlichen Zunft. Wenn es in einer Rezension der FAZ hieß, dass man hier über die Kuh erfährt, was man „nicht die Zeit hatte zu googeln“, dann wird genau das verkannt, was Florian Werner leistet: eine vorbildlich konzentrierte Darstellung der Kuhdarstellung. Und seinen verschmitzten Humor bezieht dieses Buch nicht platterdings aus dem Muh der Kuh, sondern aus der Darstellung der Motive derjenigen, die der Kuh in ihren Werken einen flüchtigen Auftritt verschaffen.

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Begabung als Ideologie


Malcolm Gladwell
Überflieger
Campus 2009

Gängige Rede beim Überflieger ist die vom Aufstieg aus dem Nichts aus bescheidensten Verhältnissen.

Erfolg ist als nichts anderes vorstellbar als das was aus individueller Leistung und Begabung folgt. Alles andere hätte doch etwas, nun ja, etwas Ehrabschneidendes vielleicht. Erfolg wird nun einmal individualisiert.

Gladwell aber zeigt in seinem Buch nicht nur wie erfolgreich Menschen sind, sondern woher diese Erfolgreichen kommen. So versucht er die beeindruckenden Karrieren ungewöhnlicher Menschen, Genies, Unternehmer, Musiker daraufhin zu lesen, woher sie kommen, welchen Prägungen und Voraussetzungen sie entstammen, die diese Karriere ermöglichten.

Seine Ideen und Erkenntnisse – das ist klar – eignen sich daher nicht für Sonntagsreden. Manchmal sind es nur ein paar Zusammenhänge, eine Herkunft, ein kleiner aber wirkungsvoller Umstand, der den Erfolg strukturell erklärt.

Chris Langan, von dem Gladwell erzählt, wie er durch seine Unterschichtsozialisation an den Strukturen und Bedingungen eines auf Oberschichtkinder zugeschnittenen Bildungssystems scheitert, wird von ihm mit einer ganz anderen Biografie, einer Erfolgsbiografie konfrontiert: der von J. Robert Oppenheimer. Seine Biorafie wurde von Kai Bird und Martin Sherwin verfasst und ist nun auch auf Deutsch bei Propyläen erschienen.

In der Gegenüberstellung kann Gladwell anschaulich machen, wie zwei konträre Erziehungskonzepte, das Konzept Langan (natürliche Entwicklung) und das Konzept Oppenheimer (konzertierte Kultivierung) bei prinzipiell gleich hoher Begabung zu ganz unterschiedlichen Lebensläufen führen. Interessanterweise ist gerade die Unterschicht von den angeborenen Eigenschaften ihrer Sprösslinge überzeugt, Eigenschaften und schulische Leistungen, die dann eben auch mal nicht so gut ausfallen. In der Ober- und Mittelschicht ist der Lehrer der Schuldige!

Oppenheimer, ein Mensch der seinen Doktorvater mit Chemikalien aus dem Labor zu vergiften versuchte, darf auf Bewährung weiter studieren und wird 20 Jahre später Leiter des Manhattan Projekts zum Bau der Atombombe. Langans Mutter scheiterte schon an einem Formular und Langan selbst an den soft skills, den im Grunde absolut harten Schließmechanismen der führenden Milieus.

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Bewegung und Beharren

Peter Hessler
Über Land. Begegnungen im neuen China
Berlin Verlag 2009

Ich weiß nicht, ob es im Lexikon der populären Irrtümer steht, aber die Chinesische Mauer ist nicht vom Mond aus zu sehen. Aber von Frankfurter Messe 2009 aus, da war sie zu sehen und mit ihr zusammen der Mummenschanz, der eher einer Tourismusmesse angestanden hätte, als einer Buchmesse.

Solche Reportagen aber wie Peter Hessler sie hier geschrieben hat, sind eigentlich, wenn es das gäbe, Langzeitreportagen. Ein Widerspruch in sich, wollen Reporter doch eher schnell fertig werden. Hessler ist Peking-Korrespondent des New Yorker und er hat den langen Atem für eine große Erzählung gereifter Erfahrungen. Ein großes Lesevergnügen.

Im ersten Teil seines Buchs folgt er dem Verlauf der Mauer. Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht ein Dorf, in das er jahrelang pendelt. Auf die Reise folgt der Stillstand. Auf die Beobachtung eines Landes in Bewegung – und zwar mit dem Auto – die Beobachtung des Beharrens, der Tradition. Im dritten Teil schildert er den Aufbau einer Fabrik, in der sich die beiden ersten Teile, der Widerspruch von Bewegung und Beharren, spiegelt. Was produziert diese Fabrik? Etwas sehr Eigentümliches. Sie produziert nichts als Ringe. Und zwar speziell die Ringe, mit deren Hilfe die Träger eines BH verstellt werden können.